Vendée Globe: Run auf gezeichnete See-Abenteuer – die Comic-Liebe der Franzosen

In Sprechblasen um die Welt

Clarisse Cremer als ängstliche Heldin, Samantha Davies als „herzliche“ Abenteurerin, Thomas Coville als ultimativer Abenteurer, Sebastien Destremeau als begnadeter Geschichten-Erzähler und Yvan Bourgnon gerade noch gut genug für ein Kinderbuch – die Welt der Hochseesegler im französischen Comic!

© Glenat

Wer den Umgang einer Nation mit einer leidenschaftlich praktizierten respektive geliebten Sportart verstehen möchte, sollte sich bekanntlich mit ihrem kulturellen Kontext beschäftigen.

Im Fall „die Franzosen und ihre außerordentliche Liebe zum Hochseesegeln“ kann dies – neben vielen anderen Aspekten – ein Blick auf die Bestseller-Tische der Buchhandlungen sein.

Ein beispielhaftes Szenario: Der Autor dieser Zeilen fuhr Stil-unecht mit dem Auto zum Point de Raz, dem legendären westlichen (aber eben nicht westlichsten) Aussichtspunkt Frankreichs. Dort, wo die Welt der Franzosen buchstäblich zu Ende ist, am äußersten Ende des Departements Finisterre, befindet sich kurz vor dem Eingang zum (teuren) Parkplatz des Aussichtsfelsens ein Café-Restaurant, das hiermit allen empfohlen sei, die sich bis an diesen wunderschönen Zipfel der Bretagne wagen.

Bücher vor der Biertheke

Hinter dem Café eine großzügige Terrasse mit Blick auf den Ozean und die schmalen, im Sommer sehr bevölkerten Wanderpfade zum Point de Raz. Im Inneren des Cafés, das von einer Association junger Naturliebhaber betrieben wird, ein etwas seltsam wirkender Anblick: Im Schankraum liegen auf den Tischen neben der Theke, nein keine Gläser, Teller oder Besteck. Sondern Bücher, Bücher und nochmals Bücher.

© Glenat

Zweiter Blick auf das Sortiment: Nahezu alle Titel handeln von der See, den Helden und Heldinnen, die sie befahren und besegeln. Dritter Blick: Ein großer Tisch quillt über mit „Bandes Dessinées“ (BD, auf Deutsch etwas verwirrend mit „Comics“ übersetzt).

Nun ist so ein „Café-Librairie“ entlang der französischen Atlantikküste nichts Ungewöhnliches mehr. Doch hier an diesem verloren wirkenden Ort ist ein Fakt besonders beeindruckend: Nahezu alle Gäste, egal ob jung oder alt, tummeln sich um den BD-Tisch. Schmökern in den „Bilderbüchern“, machen sich gegenseitig auf besonders gelungene oder beeindruckende Zeichnungen aufmerksam.

Etwas weiter hinten im Gastraum sowie draußen auf der Terrasse werden Kaffee und Kuchen serviert, am BD-Tisch wird vom Segeln in antarktischen Stürmen, von karibischen Abenteuern und von epischen Sonnenuntergängen auf Hoher See geträumt. Eine Stimmung – wie im Bilderbuch!

Comics heißen in Frankreich BDs

Die BD-Kultur ist in Frankreich bereits seit Jahrzehnten fest verankert. Nach den Belgiern lesen die Franzosen am meisten in den BDs, Comics bzw. Graphic Novels. Klar, Asterix, Tintin und Co nehmen dabei den statistischen Großteil ein, doch was immer mehr „im Kommen“ ist, sind mehr oder weniger authentische BDs zu den großen Expeditionen und Hochsee-Abenteuern unter Segeln.

Wenig erstaunlich: Im Jahr eines erneuten Vendée Globe-Starts stößt alles Gezeichnete und in Sprechblasen beschriebene rund um die Weltumseglung auf höchstes Interesse. Und wie immer in Buchhandlungen, werden themenverwandte, größtenteils ältere Editionen nochmals auf den Tisch gelegt.

Ganz offensichtlich zum Wohlgefallen der Kunden, denn nahezu alle, die geduldig an der Kasse anstehen, haben ein, zwei, manchmal drei BDs mit Hochsee-Abenteuern unter den Arm geklemmt. Und lesen schon mal in einem vierten.

Werfen wir einen noch näheren Blick auf den BD-Tisch am Ende der Welt. Nach Aussagen des Buchhändlers und Comic-Fans, der gleichzeitig auch die Biere zapft und die Kaffemaschine bearbeitet, sind derzeit die vier (!) Bände des Künstlers Serge Dino der absolute Renner.

© Glenat

Die Reihe mit dem Titel „Seul au Monde“ (allein auf der Welt) beschreibt das Leben und die Abenteuer des Vendée Globe Teilnehmers Sebastien Destremeau.
Ausgerechnet Destremeau, werden sich jetzt viele sagen. Dieser Journalist, der 2017 nach 124 Tagen als allerletzter die Vendée Globe beendete. Und dem man in der darauffolgenden Ausgabe der Weltumseglung nahelegte, auf hoffnungslos letztem Rang, wochenlang hinter dem Rest der Flotte, bitteschön aufzugeben.

Lust auf Meer

Doch Destremeau ist eben ein begnadeter Geschichten-Erzähler. Was er in einem autobiografischen Buch eindrücklich bewies und nach dem diese vierbändige Comic-Ausgabe aufwendig gezeichnet wurde. Und ist es nicht schon eine coole Geschichte in sich, wenn der vermeintliche „Versager“ einer Vendée Globe auf anderen, jedoch naheliegenden Wegen seine ganz persönlichen Vendée Globe Erfolge feiert?

© Delcourt

Apropos Erfolge. Ein BD, das zunächst etwas unspektakulär daherkommt, weil schon die Titelseite eher kindlich wirkt, erfreut sich dennoch großer Beliebtheit. Unter dem Titel „J’y vais, mais j’ai peur“ (Ich mach’ das, aber ich hab’ Angst) veröffentlichte Clarisse Cremer mit der Künstlerin Maude Benezit ein Bilderbuch. Thema: Ihre Rekordfahrt bei der letzten Vendée Globe, was sonst?

Auch wenn Zeichnungen, Layout und Stil letztlich immer Geschmackssache bleiben werden, handelt es sich hier dann doch wohl eher um buchstäbliches Bilderbuch für Kinder bis junge Menschen. Was dem Erfolg offenbar keinen Abbruch tut.

© Bresson

Direkt daneben ein BD über eine ganz andere Grande Dame des Hochseesegelsports. Mit dem vielsagenden Titel „Florence Arthaud, femme libre“ (eine freie Frau) wird hier über eine der Pionierinnen des Hochseesegelns gesprochen, die sich in der damals noch männlich dominierten Welt der Hochseeregatten fulminant durchsetzte. Bis zu ihrem tragischen Tod bei einem Helikopterabsturz war sie Superstar der Szene. Und wird wohl nie vergessen sein. Vielleicht auch ein wenig aufgrund solcher BDs, in denen die jungen Generationen staunend blättern.

Ein Herz für BD-Leser

Bleiben wir noch ein wenig bei den Heldinnen des Hochseesegelns, die auf dem BD-Tisch im Café am Ende der Welt angeboten werden. Da sticht einem förmlich ein Buch mit einem knallroten Cover ins Auge – klar, auch Samantha Davies’ Abenteuer auf Hoher See werden per BD den älteren und jüngeren Generationen bildlich und per Sprechblase „ans Herz gelegt“. (Une aventure autour du monde pour sauver des enfants – ein Abenteuer rund um die Welt, um damit Kinder zu retten).

© Davies/Rebuffe

Regelrecht bildgewaltig kommt die beiden BD-Bände „Histoires du Vendée Globe“ (Geschichten von der Vendée Globe) daher, die von Garetta Renaud illustriert wurden. Schon auf den ersten Seiten läuft einem selbst beim flüchtigen Durchblättern ein regelrechter Schauer den Rücken runter.

© Dargaud

Etwas versteckt zwischen anderen BDs des Genres steckt „211 jours“. Eine feine Graphic Novel, die Bertrand Corbel über die Weltumseglung des ersten Golden Globe Race-Siegers Jean Luc van Damme zeichnete. Man merkt sofort, dass hier zwei Segelkumpel, die sich seit Langem kennen, im Detail und mit viel Respekt für eine derartige Leistung, ausgetauscht haben.

© dessins du large

Sehr heroisch kommt die Titelseite des BD „la quete de l’ultime“ – Die Suche nach dem Ultimativen“ daher. Noch eines dieser spektakulär gezeichneten Bücher von Renaud Garetta, dieses Mal mit Thomas Coville und seinen Abenteuern auf dem Ultim Trimaran als abendfüllendes Lese- und Anschau-Erlebnis.

© Dargaud

Man wird schon beim Durchblättern regelrecht besoffen von der Intensität und Detailtreue aller Bilder.

Helden und ihre Geschichten in Bild und Sprechblase.

Ganz hinten in der Ecke dann noch ein kleines Bilderbuch, das niedlich wirkt und für Kinder bis 12 Jahre gezeichnet wurde. Bertrand Corbel hat mit kindlichen Zeichnungen die Abenteuer von Yvan Bourgnon verfolgt, als der mit seinem offenen Katamaran durch die Nordwest-Passage segelte.

© Corbel

Ein offenbar in der Hochsee-Szene versierter, ebenfalls begeisterter BD-Leser, der schon die ganze Zeit neben mir blätterte, spricht mich darauf an. Ob ich von den Lügengeschichten des Yvan Bourgnon gehört habe? Als ich bejahe, geht er in verschwörerischem Unterton ins Detail. Eigentlich sollten opulente BDs zu Bourgnons Abenteuern während seiner Weltumseglung im offenen Katamaran und im Eis entstehen. Arbeitstitel etwa: Wahre und tatsächlich erlebte Geschichten eines Abenteuer-Seglers. Doch als bereits während der Reise bekannt wurde, dass viele Geschichten und wilde Abenteuer, die Bourgnon seinem „Shore-Team“ via Satelliten-Telefon übermittelte, schlicht erfunden und nie erlebt waren, nahm man Abstand von dem Projekt.

Schließlich lassen sich auch (oder gerade) BD-Leser nicht gerne „für dumm verkaufen“.

Michael Kunst

Näheres zu miku findest Du hier

1 Kommentare zu „Vendée Globe: Run auf gezeichnete See-Abenteuer – die Comic-Liebe der Franzosen“

  1. PL_detlef.hoepfner sagt:

    Wunderbar. Hätte ich nur mal in Französisch besser aufgepasst ….

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