Was für ein Törn! Der 81 jährige Sven Yrvind treibt von Norwegen zu den Azoren mit 2 kn Geschwindigkeit. Zwischendurch fragt die Besatzung eines Rettungshubschraubers besorgt per Funk nach, ob alles ok sei. Doch der Guru des Micro-Segelns will alles, bloß nicht aufgeben!
Start in Norwegen
Dieser Mann ist ein Phänomen: Der Schwede Sven Yrvind, 81 Jahre jung, segelte auf seinem neuesten Micro-Eigenbau namens „Exlex“ (ohne Gesetze, vogelfrei) sagenhafte 78 Tage lang nonstop und einhand im Atlantik. Der fanatische Micro-Segler schaffte mit diesem episch langen Törn auf seinem 5,7 m kurzen und 1 m schmalen Boot 3571 sm, was einem Etmal von 2 kn entspricht.
Am 27.Juni legte der „Guru des Micro-Segelns“ im norwegischen Hafen Ålesund ab und am 13. September 2020 machte Yrvind in Horta auf den Azoren fest. Verständlicherweise wirkte der „reife Salzbuckel“ müde, ausgezehrt, seine Muskulatur „spielte nur noch unzuverlässig mit“, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Mittlerweile spaziert er aber schon wieder durch die Hafen-Anlagen, lässt sich von benachbarten Seglern zum Eisessen einladen und begeistert sich gerade für einen Bootstyp, den er noch nicht kannte: offene Harpunier-Boote, die von den Portugiesen früher für den Walfang genutzt wurden und die als besonders hochseetüchtig gelten.
Guru der Micro-Segler
Sven Yrvind ist für SR-Leser längst kein Unbekannter mehr. Seit 2011 berichten wir über diesen Ausnahmesegler (SR-Artikel), der ausschließlich in maximal kurzen Booten seine Langfahrten unternimmt. Sein derzeit laufendes Projekt Exlex sollte ihn ursprünglich nach Neuseeland führen; ob er seine Reise gen Süden nach einer derart nervtötend langen ersten Etappe fortführen wird, will Yrvind in den nächsten Tagen bekannt geben (SR-Bericht über die Vorbereitungen des Törns).
Yrvind berichtete in unregelmäßigen Abständen auf seinem Blog von seinen Erlebnissen und Fortschritten während der vergangenen Monate auf See.
Die folgenden Auszüge sollen (meist nacherzählt, selten wortwörtlich übersetzt) einen Eindruck wiedergeben, welchen Schwierigkeiten und Strapazen, aber auch Glücksgefühlen Sven Yrvind während seines epischen Törns begegnete.
30 Juni. Bin froh wieder auf See zu sein. Wenn es auch ein wenig kalt hier ist.
- Juli. Ich bin auf Kurs. Habe reichlich Essen und Trinken an Bord. Leider musste ich das meiste achtern verstauen. Das lässt den Spiegel sehr stark einsinken. Wenig Geschwindigkeit, noch schlechtere Höhe am Wind. Seit dem 27. 6. habe ich nur 110 Seemeilen gutgemacht. Ich muss Abstand zu den Shetlands und Faröern halten!
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Juli. Über viele Tage hinweg zeichnet der Tracker seltsame Kurse der Exlex auf. Viele Fans sind besorgt, doch kann Sven Yrvind nicht erreicht werden. Am 21. Juli berichtet ein Freund, der mit Yrvind offenbar in Kontakt treten konnte: Yrvinds Tracker-Kurs sieht manchmal so aus, als wolle er uns eine mysteriöse Botschaft senden. Doch tatsächlich geht es Yrvind gut: Er ist auf See, dort, wo er sich am wohlsten fühlt. Auch wenn er mit einigen Problemen zu kämpfen hat: Es ist nass, kalt und das Boot segelt nur sehr wenig Höhe, zuviel Gewicht im Heckbereich. Außerdem gibt es Probleme, das Ruder von innen zu belegen und somit das Boot auf Kurs zu halten.
Und dann wären da noch die Flauten! Das Boot treibt dann über große Entfernungen in den Strömungen vom Kurs ab. Was Yrvind vor allem wegen der Ölplattformen und Schifffahrtswege in dem Gebiet, in dem er derzeit unterwegs ist, Sorgen bereitet.
Aber es gebe auch Positives zu vermelden: Das Boot reagiert sehr gut in schwerer See bei viel Wind. Zwei Mal habe sich Yrvind bereits „aufs Ohr gelegt“, jedes Mal hat das Boot sich von selbst wieder aufgerichtet.
- Juli. Yrvind: Als ich mich den Faröern näherte, zog ein Tief von Norden auf. Also wollte ich zwischen den Shetlands und den Faröern Segeln, was mir aber nicht gelang, bevor der Wind drehte. Also segelte ich nördlich um die Faröer – schlechtes Wetter, viel Regen, keine Sonne. Noch habe ich Zeit, ich will nur vor August und somit vor den Stürmen in der Biskaya sein. Von hier aus ist es noch ein weiter Weg. Manche behaupten, ich würde mit meinen 81 Jahren mein Glück strapazieren. Aber meine Moral ist bestens.
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August. Yrvind: Ich bin 40 Tage auf See! Never change a plan! Ich hätte meinen ursprünglichen Bootsriss und Ladeplan vor Abfahrt niemals ändern dürfen! In den Testphasen lief mein Boot wunderbar, auch gute Höhe. Doch dann musste ich unbedingt diese Unmengen Nahrung mitnehmen und ausgerechnet im Heckbereich neuen Stauraum einplanen. Jetzt verliere ich nach jeder Wende 10 bis 15 Grad! Ich könnte 80 Prozent meiner mitgenommenen Nahrungsmittel ins Wasser werfen und alles wäre wieder gut. Aber das wäre wenig ökologisch und ich bin viel zu gierig und geizig für so eine Verschwendung. Einmal brach eine Welle über dem Boot, als ich die Luke noch offen hatte. Jetzt ist meine Kleidung klatschnass und manche Nahrungsmittel versalzen.
Ich habe meinen Plan geändert und segle jetzt erstmal zu den Azoren. Aber das wird größtenteils gegen die vorherrschende Windrichtung sein, also am Wind. Ich habe jetzt schon Angst vor dem Landfall: Wenn ich auf den Wellenbrecher des Hafens treibe und Schiffbruch erleide! Aber wir werden sehen, habe ja noch Zeit. Habe schon gute Ideen für mein nächstes, verbessertes Boot, das ich bauen werde!
- August. Die Exlex macht Wasser. Nicht beunruhigend viel, aber doch genug, dass Yrvind mitunter die Pumpe einsetzen muss. Yrvind: Ich bin jetzt jenseits des Breitengrades von Kap Finisterre unter 42˚ 53`. Die Biskaya liegt hinter mir. Das Wetter sollte besser sein. Das Gute ist, dass es immer noch reichlich Nahrung und Wasser gibt. Es gibt Sardinen und eine Art sehr einfaches Müsli. Nur Haferflocken, Mandelpulver, ein paar Rosinen und Milchpulver. Wenn ich Wasser darauf gieße, wird es zu einer Art Seife. Sehr flüssig. Das Seltsame ist. Ich habe es zwei Wochen lang gegessen, bevor ich 2018 in See stach, und dann 40 Tage auf See. Jetzt 2020 hatte ich es nach 3-4 Wochen satt. Ich fand es irgendwie ekelhaft. Mit jedem Tag wurde es schlimmer. Irgendwie fing ich dann wieder an, es zu mögen. Ich schätze, ich hatte keine Wahl. Jetzt ist es gut. Ich freue mich immer noch auf Obst, Käsebrot und zu besonderen Anlässen auf ein schönes Eis.
Es ist schön hier draußen auf dem großen endlosen ewigen Ozean. Ich bin glücklich. Obwohl ich mir Sorgen um meine Beinmuskeln mache, die seit fast 2 Monaten kaum noch gebraucht werden. Ich nehme mir Zeit.
- August. Yrvind: heute ist es zwei Monate her, dass ich in Ålesund abgelegt habe. Die meiste Zeit war das Wetter nicht angenehm. Viel starker Wind, sehr kalt, grau und feucht. Aber seit etwa einer Woche (ich habe die Zeit aus den Augen verloren), nachdem ich südlich der Biskaya und südlich von Kap Finisterre gekommen bin, ist das Wetter jetzt außergewöhnlich gut. Könnte nicht besser sein. Aber es weht kaum Wind, so dass ich kaum vorwärts komme. Ich habe wirklich keine Ahnung, wann ich in Horta Fayal Azorena ankommen werde.
Apropos Flauten. Die habe ich ja schon mal erlebt, oben bei den Faröern. Damals kam ein Rettungshubschrauber zu mir heraus geflogen, weil sie beobachtet hatten, dass ich mich kaum vom Fleck rühre. Wollten wissen, ob alles okay mit mir sei. Die anderen Boote schalten in der Flaute ja ihre Motoren ein, ich hab sowas erst gar nicht dabei.
An den Tagen ist es sehr warm. In dem ruhigen und warmen Wasser zu schwimmen ist sehr verlockend. Aber im letzten Sommer habe ich genau das versucht, und dann kam ich mit der Badeleiter nicht zurecht und nicht wieder zurück ins Boot. Also lass ich das mal lieber bleiben!
Es gibt keine Anzeichen für mehr Wind, aber ich habe immer noch reichlich Nahrung und Wasser.
- September. Yrvind: Ich bin 70 Tage auf See! jetzt warte ich auf schlechtes Wetter. Passt mir zwar nicht, aber als Stoiker kann ich das aushalten. Sogar Hurrikan-Ausläufer sollen über mich hinweg ziehen. ich habe alle Segel runter genommen und einen Treibanker ausgelegt.
- September. Yrvinds Freund Beppe schreibt: Sven hat in Horta angelegt! Eine lange Reise ist für ihn vorerst zu Ende. Der letzte Tag auf See war dann doch ein wenig frustrierend für Yrvind. Bei leichtem Wind gegenan geriet er zu nahe an Land, konnte nicht aufkreuzen und musste erstmal auf See bleiben, um einen Winddreher abzuwarten. Um ein Abtreiben zu vermeiden, legte er wieder einen Seeanker aus. Das Ding wieder an Bord zu bekommen, war eine schwere Arbeit, für die er drei Stunden brauchte.
78 Tage auf See sind eine lange Zeit. Yrvinds Muskeln sind weit von dem entfernt, was sie früher waren, und er braucht Unterstützung, um gehen zu können. Aber das ist keine neue Erfahrung für ihn, und er hat das schon ein paar Mal durchgemacht. Ich habe mit ihm telefoniert, und er sagte, er sei in einer guten mentalen Verfassung.
An Land interessierte sich zunächst kaum jemand für den „verrückten Alten“ auf seiner Nussschale. Doch so langsam spricht sich Yrvinds Abenteuer herum. Sogar das portugiesische TV hat einen kurzen Bericht über sein 78-Tage-Abenteuer auf dem Atlantik gesendet.
Ob Sven Yrvind auf seiner „Exlex“ weitersegeln wird? Schwer zu sagen – bisher wurde noch keine Entscheidung getroffen. Doch so häufig wie er mittlerweile von neuen Booten redet, die er bald bauen will…
Wir halten Euch auf dem Laufenden!
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