Gesetzesentwurf nach der Ostsee-Sturmflut: Wer soll nun haften? Alles nur Polit-Aktionismus?

Den Kreis möglicher Schuldiger erweitern

Der Entwurf zur Novelle des neuen Landeswassergesetzes lässt die Wogen hochkochen. Was diese Neuregelung bedeuten kann und was Experten dazu sagen.

Bergung in Strande nach der Sturmflut 2023 © Pantaenius

Haftung ist das Zauberwort. Wann immer es zu Schäden kommt, ist die Haftung eines der zentralen Themen: wer haftet für was und warum?  Als die Ostsee im vergangenen Jahr aufgrund einer ungünstigen Wetter- und Windlage über Ufer, Spundwände, Deiche und Stege trat und ganze Hafenanlagen mit sich riss, waren unzählige Yachten betroffen. Mancher spricht von etwa 1.000 Booten, die beschädigt wurden. Allein in Damp, so die Schätzungen, gab es 200 Totalverluste. Die entstandene Schadensumme war beträchtlich. 

Im Normalfall regulieren Versicherungen die Reparaturkosten, Ersatz, Bergung und Co.  Es gibt jedoch häufig Ausnahmen, wie mangelnder Versicherungsschutz oder auch ungeklärte Schadensursachen mit Streitparteien. Oft führt der Weg dann nur über die Gerichte. 

Wie viele Klagen insgesamt eingereicht wurden, ist nicht bekannt, es sind vermutlich aber viele. Und jetzt kommt die Haftung ins Spiel, oder anders gesagt: wer hat Schuld? Wer hätte den Schaden vermeiden können? Wer hat ihn verursacht? Sprich: wer bezahlt den Kram?

Es gibt durchaus komplizierte Szenarien. Beispiel: Boot A ist bei der Sturmflut in Boot B gekracht und B vermutlich durch die Kollision gesunken. Da beginnen die Fragen: War Boot A richtig vertäut? Hätte das losreissen verhindert werden können? War der Steg technisch in Ordnung, an dem Boot A hing? Ist B wirklich durch die Kollision mit A gesunken?

Wenn jetzt noch der gar nicht so ungewöhnliche Fall hinzukommt, dass Boot B nur haftpflichtversichert ist und Boot A eine Kaskoversicherung hat, kann es kompliziert werden. Denn wenn Eigner B nachweisen kann, dass Boot A nur unzureichend gesichert war, wird er versuchen, Eigner A in die Haftung zu nehmen, um seinen Verlust von dessen Versicherung ersetzt zu bekommen. Denn wenn A die Schuld trägt, muss seine Versicherung für die Kosten von B aufkommen. Eigner A dürfte das verhindern wollen, denn wenn nachgewiesen wird, dass Eigner A schuldhaft gehandelt hat, kann das gravierende Folgen für die Kaskoversicherung haben und im schlimmsten Fall wird der eigene Schaden nicht reguliert. Deshalb wird Eigner A natürlich alles tun und die Schuld von sich weisen. Natürlich liegt es auch nahe, zu überprüfen, ob die Steganlage eigentlich in Ordnung war, weil dann auch der Hafenbetreiber in der Kreis derer aufgenommen wird, der bzw. dessen Versicherer für den Schaden aufkommen muss. 

Mit dem Entwurf zum neuen Landeswassergesetz passiert nun eines: der Kreis der möglichen Schuldigen wird erweitert und auf dem Haftungs-Karussell dreht sich nun eine weitere Möglichkeit. Denn im Fall von Boot A und B würde nun auch geprüft werden müssen, ob der Hafenbetreiber die Eigner ausreichend gewarnt hat unbd ob der Schaden durch die Warnung hätte vermieden werden können. Womit nun auch C, der Hafenbesitzer, mit im Haftungs-Boot sitzt. Einfacher wird es dadurch nicht. 

Staat ist zur Gefahrenabwehr verpflichtet

Der Hamburger Anwalt für Yachtrecht, Ole Hecht, sagt dazu folgendes: “Die neue Warnpflicht könnte einen neuen Ansatz für eine zivilrechtlichen Haftung des Hafenbetreibers begründen. Wenn der Hafen nicht warnt- obwohl er es muss- verstößt er gegen eine öffentliche Vorschrift, die dem Schutz des Hafennutzers dient. Ein solcher Verstoß begründet eine Haftung, wenn der Nutzer nachweist, dass mit Warnung der Schaden nicht eingetreten wäre.”

Warum aber überhaupt so ein neues Gesetz? Was im ersten Moment überflüssig erscheint und in den sozialen Medien zu teilweise sehr verärgerten Reaktionen führte, ist juristisch bewertet sogar sinnvoll. Ole Hecht dazu: 

“Der Staat ist zur Gefahrenabwehr verpflichtet, worauf das Gesetz zielt. Der Staat will Bürger vor Gefahren von Lein und Leben, Eigentumsschäden  und die Umwelt vor Verschmutzung schützen, wie es in der Begründung des Entwurfes ausdrücklich heißt.“siehe  Für Gesetze gibt es ein Standardprüfprogramm: Sie müssen erforderlich ( Gefahrenabwehr durch steigende Meeresspiegel und extrem Wetterereignisse), geeinigt sein, die Gefahren abzuwehren  und verhältnismäßig (kein unnötiger Eingriff in Grundrechte) sein. Das Gesetz verfolgt legitime Zwecke und die Pflicht zur Warnung, dass der Hafen nicht sturmsicher ist, ist ein eher geringer Grundrechtseingriff. Ich meine schon, dass es sinnvoll ist, Segler zu warnen, dass ihren Booten auch im Hafen beim Sturm Gefahren drohen. Ungeeignet empfinde aber ich den Hinweis im Gesetzestext auf die Gefahr von Sturmfluten im Winterhalbjahr. Es lenkt von der eigentlichen Gefahr der Sommersturmfluten ab, mit denen keiner rechnet und bei denen die Häfen voll sind.”

Hecht betont jedoch, dass bei dieser Novelle zwischen zivilrechtlichen Aspekten, also zwischen Bürger und Bürger, und der Seite des öffentlichen Rechts (Regelungen zwischen Bürger und Staat) unterschieden werden muss. 

Bei der Betrachtung des Vorschlags zur Änderung des Landeswassergesetzes muss jedoch noch ein weiterer, wichtiger Player berücksichtigt werden: die Versicherer. In einer ersten, kurzen Einschätzung des Yachtversicherers Pantaenius in Hamburg lässt sich herauslesen, dass die Umsetzung des Gesetzes in der Praxis sehr schwierig sein dürfte. Zitat: “Damit es hier zu einem Fall kommt, müsste der Kunde einen Schaden wegen einer Sturmflut haben und gegenüber dem Betreiber argumentieren, dass dieser Schaden, wäre er als Kunde entsprechend gewarnt worden, nicht entstanden wäre. Das Versäumnis der Mitteilung muss also kausal für den Schaden sein. “ Jedoch, so wird ergänzt, hätten wir in Deutschland häufig sehr verbraucherfreundliche Gerichte. 

Wie soll die gesetzliche vorgeschriebene Warnung aussehen?

Im vorliegenden Text zur Novelle des Landeswassergesetz heisst es: ”§ 82a Hinweispflicht für Campingplätze und Sportboothäfen Betreiberinnen und Betreiber von Campingplätzen in nicht ausreichend geschützten Küstengebieten und Betreiberinnen und Betreiber von Sportboothäfen, innerhalb derer ein sturmflutsicherer Verbleib von Booten im Wasser nicht gewährleistet werden kann, sind verpflichtet, die Nutzerinnen und Nutzer auf die Gefahr von Sturmfluten, insbesondere im Winterhalbjahr, hinzuweisen.”

“Darauf hinzuweisen” bedeutet nicht, wie an manchen Stellen bereits vermutet wurde, dass der Hafenmeister vor jedem aufziehenden Sturm jeden Eigner anruft, um ihn zu warnen. Mit einem entsprechenden Hinweis in der Hafenordnung und in den Liegeplatz-Mietverträgen sollte dem Gesetz eigentlich genüge getan sein. Die Fachleute und Juristen sehen das genauso. Ole Hecht dazu: “Sie (die Warnung, Anm. d. Red.) muss so gestaltet sein, dass die Nutzer der Häfen von ihr Kenntnis erlangen- also insbesondere als Aushang beim Hafenmeister und Klausel in der Hafenordnung.” 

Pantaenius weist daraufhin, dass es von Seiten des Gesetzgebers keine klaren Vorgaben gibt, in welcher Form die Warnung erfolgen muss. Zitat: “Wann und wie informiert werden muss, steht im Gesetz nicht. Das wird aber natürlich rechtzeitig zu geschehen haben. Im Mietvertrag würde sich anbieten, dann muss der Hafenbetreiber nicht weiter daran denken“.

“Wenn fast jeder Hafen warnt, kann die Warnung verpuffen“

Im Grunde ändert sich für die Eigner und Liegeplatzinhaber nicht viel. Für Schäden, die durch morsche Steganlagen nachgewiesen werden, haftet der Hafenbetreiber nach wie vor. Auch wenn er vorher gewarnt hat, dass der Hafen nicht vor Sturmfluten geschützt ist. Allerdings ist auch ein solcher Vorgang laut Yachtrechtler Ole Hecht in der Praxis eher schwierig, weil “der Hafennutzer die gesamte Beweislast trägt. Er muss beweisen, dass der Hafen die Wetterbedingungen aushalten musste. Was für ein Sturmereignis muss denn ein Hafen aushalten? Wenn der Hafen dann noch aussieht, wie ein Schlachtfeld ist die Beweisführung äußerst kompliziert. die mangelnde Warnung .”

Sollte es allerdings zu einem Szenario wie im vergangenen Jahr kommen und der Hafenbetreiber hat keine Warnungen veröffentlicht, weder in Mietverträgen noch in der Hafenordnung, wäre es durchaus denkbar, dass Eigner den Betreiber für entstandene Schäden haftbar machen könnten, bzw. es versuchen. 

Weitere Aspekte, die das Gesetz zur Folge hat, bringt Anwalt Hecht ins Spiel. Sturmflutsicher, so der Hamburger Jurist, seien eigentlich nur solche Häfen, die durch eine Schleuse geschützt werden. Bliebe also eine sehr hohe Zahl an Marinas und Yachthäfen, die zur Sicherheit pauschal warnen müssten. Laut Hecht könnte das Folgen haben: “Wenn fast jeder Hafen warnt, kann die Warnung „verpuffen“. Die Warnung ist dann nicht mehr geeignet, weil sie nicht ernst genommen wird.”

Polit-Aktionismus?

Liest man in der Pressemitteilung des Umweltministeriums die Erwähnung des neu vorgeschlagenen §82a, könnte man zunächst darauf kommen, dass es sich um Polit-Aktionsmus handeln könnte. Das Ministerium nennt die Erweiterung “eine Hinweispflicht für die Betreiber von Campingplätzen und Sportboothäfen. Damit sollen Menschen frühzeitig vor Gefahren gewarnt und Schäden minimiert werden (§ 82a)”

Jedoch: Bei der großen Ostsee-Sturmflut 2023 hat es an Einem nicht gemangelt: an Warnungen. Sowohl die Wetterdienste, soziale Medien und Communities als auch Nachrichten haben frühzeitig vor einem ungewöhnlich hohen Anstieg der Ostsee gewarnt.  Dennoch kümmerten sich anscheinend viele Eigner nicht um ihre Boote, sicherten nicht mit zusätzlichen Leinen oder schlugen die Segel nicht ab. Ein typisches Bild der Sturmflut waren abgerollte Vorsegel, die zerfetzt im Wind flattern, weil nicht mal ein Tampen, Zeising oder gar die Fockpersenning zur Sicherung angebracht worden war. Was also soll eine Warnpflicht für Hafenbetreiber, zumal vermutlich nur pauschal in Aushängen und Verträgen, dann überhaupt bringen?

In vielen Fällen wurde die Gefahr offenbar unterschätzt, getreu dem Motto: “wird auf der Ostsee schon nicht so schlimm sein”. Ein Hinweis darauf, dass der Hafen nicht sicher vor einer solchen Sturmflut ist, könnte eventuell dazu führen, dass Eigner ihre Schiffe entweder früher an Land stellen oder bei Wetterwarnungen die Lage ernster nehmen. 

Ob und wie viel das Ganze bringt, wird hoffentlich niemals festzustellen sein. Denn dazu bedarf es einer erneuten Sturmflut. Und das will niemand. 

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