Fotoserie von der Restaurierung des DDR Meisterschafts-Pirat „Urquell“

Die Feierabend Kür

Ein Hamburger Bootsbauer hat sich nebenher in Feierabendarbeit einen alten DDR-Piraten zurecht gemacht. Eine sehenwerte Instandsetzung dokumentiert in einer faszinierenden SR Bilderstory

Eigentlich beschäftigt sich der Hamburger Bootsbauer Alexander Mühle-Corcoran ja mit anderer Leute Probleme, soweit die keine richtigen haben und ein schönes in Gestalt eines Vintage-Spritsäufers vom Typ Riva brauchen. Dieser charmante Wasserstraßenkreuzer ist die Sophia Loren unter der Motorbooten. Der dreht sogar Seglern die Sicherungen raus.

Restaurierung DDR Meisterschafts-Pirat "Urquell"   |  Die neulich überholte Riva Tritone 244 ist die Pflicht des Bootsbauers Alexander Mühle-Corcoran © Nicole Werner

Die neulich überholte Riva Tritone 244 ist die Pflicht des Bootsbauers Alexander Mühle-Corcoran © Nicole Werner

Pickel an den Beschlägen, welker Lack, morsche Planken, geknickte Spanten, weiche Stringer, heisere bis hustende Motoren? Sowas guckt sich Mühle-Corcoran gemeinsam mit seinem Boß Jürgen Renken und Kollegen Johannes Schultze gründlich an. Dann werden die Ärmel hochgekrempelt. Die Edelholz-Antiquität wird zerlegt, repariert und das ganze wieder wie damals, im norditalienischen Sarnico, aus der Halle geschoben.

Das Ergebnis ist so schön, das man es eigentlich nicht für den obligatorischen  Dichtigkeits- und Motorentest in die lehmige Elbbrühe des Wedeler Yachthafens heben darf. Aber wat mutt dat mutt. Außerdem ist so ein Riva-Möbel irgendwie schon noch ein Boot.

Mühle-Corcoran macht das seit Jahren, außer einen Tag in der Woche. Da liefert er für einen Weinhändler edle Tropfen aus. Immer in der kühlen und dauerfeuchten Dämmerung hinter den dicken Glasbausteinen handwerklich auf dem Level eines Instrumentenbauers oder -restaurators arbeiten, da kann man einen Knall kriegen.

Neulich hat sich Mühle-Corcoran auch so ein Problem ans Bein gebunden. Natürlich keine Riva, denn das ist nicht ganz die Kragenweite des Bootsbauers, sondern eine Piratenjolle. Die ist auch aus Holz. Sie gabs ungefähr für den Tarif, den Riva Eigner bei erfrischender Fahrt mit ¾ Gas an einem Nachmittag auf dem Comer See und anschließendem, dem Boot angemessenen Bacchanal mit Seeblick verfeuern.

DDR Meisterschaftsjolle

Der Pirat heißt „Urquell“ und entstand in Neuruppin für einen gewissen Dr. Heinrich Staufenbiel vom Segelverein „Einheit Templin“. 1969 bis 72 und ’75 wurden Doris Wentzke und Heidrun Lucke vom EAB Lichtenberg und der Elpro Berlin fünf Mal DDR Meisterinnen mit der „Urquell“. Also auch ein Boot mit Herkunft und einer anderen, eher proletarischen Geschichte. Es ist etwa so alt wie die Spritsäufer der Champagner-Klasse, die Mühle-Corcoran restauriert.

Die Jolle wurde ins Hochregal der HH-Bahrenfelder Riva-Werftstatt von Jürgen Renken geschoben und beinahe vergessen. Die nächste Riva, eine Tritone mit der Baunummer Nr 244, mußte fertig werden. Eine Edelholzklasse mit türkisfarbenem und leicht frivolem Zebra-Dekor. Sie wurde 1960 mit zwei Chris-Craft Achtzylindern nach Polly, einem Vorort von Lausanne, zur Wellness auf dem Genfersee geliefert.

Diagnose, Stechbeitel und Kuhfuß

Als Mühle-Corcoran den Herbst und fast den ganzen Winter morgens unter seinem Problem vorbei zur Arbeit und abends wieder zurück geschlichen war, legte sich im Januar irgendeinen Hebel um. Er fing an: Diagnose, Grübeln, Konzept, Stechbeitel, Hammer und Kuhfuß.

Restaurierung DDR Meisterschafts-Pirat "Urquell"   |  So kann man einen alten DDR-Piraten auch sehen und fotografieren © Nicole Werner

So kann man einen alten DDR-Piraten auch sehen und fotografieren © Nicole Werner

Die „Urquell“ ist von Anno 1965. Damals reiste Walter Ulbricht nach Ägypten, stieg ein russischer Kosmonaut erstmals im Weltraum aus. Ludwig Erhard wurde nochmal Kanzler, Charles de Gaulle zum zweiten Mal französischer Präsident. Die Beatles veröffentlichten ihr Album „Help“. Franz Beckenbauer kickte sein erstes Länderspiel. Alles lange, ein halbes Jahrhundert her.

Natürlich war mehr am Boot zu tun, als angenommen. Aber das ist normal. Der morsche Schwertkasten mußte raus, Planken und Spanten wurden geschäftet oder ersetzt, das ganze Programm. Abends, nach der Arbeit und am Wochenende. Mühle-Corcoran hätte beinah einen Knall gekriegt, öfter Wein ausfahren müssen, sich zwischendurch auch gern mal ausgeruht.

Die Hamburger Fotografin Nicole Werner, sie begleitete die 1 1/2-jährige Überholung der letzten Tritone Baunummer 258 für ein dem Handwerk gewidmetes Buch, schaute ab und zu mal vorbei.

Jetzt ist die Feierabendfron zuende. Neulich wurde die „Urquell“ hinter den Glasbausteinen der Bahrenfelder Riva-Klink auf den Hänger gehoben.

Restaurierung DDR Meisterschafts-Pirat "Urquell"  |  Der neue Schwertkasten © Nicole Werner

Der neue Schwertkasten © Nicole Werner

Pfingsten wird am Ratzeburger See aufgetakelt, zwischen wogendem Schilf zum Paddel gegriffen, werden die raschelnden Segel dichtgeholt und auf der angehobenen „Urquell“ Seite Platz genommen. Die halbjährige Baustelle, die Feierabend-Kür des stillen Bootsbauers wird zwischen den herrlich grünen Ufern des Ratzeburger See zum Medium zwischen Wind und Wasser.

Als introvertierter Mensch, Handwerker aus der Abteilung „stiller Durchzieher“ wollte Alexander Mühle-Corcoran diese Geschichte nicht. Sorry Alexander, ich mußte das machen, weil Piraten selten so gesehen und fotografiert werden wie von Nicole Werner, auch wenn sie „bloß mal draufdrückt“.

Außerdem regt es vielleicht manchen geschickten Selbermacher an, sich ein überschau- und machbares Projekt daheim in die Garage zu stellen.

Über den DDR Meisterschafts-Pirat „Urquell“

Pirat Segelnummer 877, 1965 in Neuruppin aus Mahagoni auf Eiche gebaut, 5 x 1,61 m, Tiefgang 0,20 bis 1,51 m, Groß 7,28, Fock 2,82 qm. Der Pirat wurde 1938 anläßlich einer Ausschreibung von Carl Martens konstruiert. Klassenvereinigung. Gebrauchte Piraten gibt es beispielsweise HIER.

Für Bootsbau-Interessierte

Wer sich für das Bootsbau-Handwerk auf gehobenem bis abgefahrenem Niveau interessiert, findet es im Buch „Riva Tritone 258“ gezeigt und beschrieben. Es ist in der Hamburger Schifffahrtsbuchhandlung Wede in der Hanse-Viertel Passage, in Kiel Holtenau im Zentrum des Freundeskreises Klassische Yachten, in München bei der Kunstbuchhandlung Werner in der Residenzstraße 18 anzuschauen.

Über die Fotografin Nicole Werner

Obwohl, oder gerade weil Nicole Werner aus dem Binnenland (Ostwestfalen) kommt, hat sie ein Faible für maritime Themen. Sie schloß ihr Studium der Fotografie an der FH Bielefeld mit der Dokumentation einer Fischerei-Forschungsfahrt auf dem Nordatlantik ab. Sie lebt in Hamburg, wird von der angesehenen Agentur Visum vertreten und arbeitet im Auftrag gemeinnütziger Einrichtungen, der Wissenschaft, Industrie und für Verlage. Webseite

Erdmann Braschos

Sein Spezialgebiet umfasst Mega-Yachten, Klassiker, Daysailor und Schärenkreuzer. Mehr über Erdmann findest Du hier.

1 Kommentare zu „Fotoserie von der Restaurierung des DDR Meisterschafts-Pirat „Urquell““

  1. andreas borrink sagt:

    Tolle Artikel, erstklassige Bilder. Und ein schönes Boot mit viel Geschichte. Erinnert an mein eigenes Restaurationsprojekt; ganz ähnlich, nur mit Tuckermotor. Für jeden, der mit sowas liebäugelt: Geht los! Aber bei den Stunden, da rechnet mal am Ende mit Sicherheitsfaktor x3. Dann seid ihr vielleicht sogar eher fertig…..

    Alexander, Dein Pirat gehört übrigens unbedingt in’s Feld der Summerclassics:

    http://www.hamburger-segel-club.de/de/segeln/regattasegeln/hamburg-summer-classics.html

    wenn ich mir diese Werbemaßnahme erlauben darf!

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