Stephan Bodens Kolumne: Über den Mythos des weltoffenen Seglers

„Erwartungshaltungsenttäuschung“

Sind Segler weltoffener? Oft hört man das, oft denkt man das. Leider ist die Wahrheit manchmal eine andere: Auch in der Seglerszene finden sich immer häufiger Haltungen, die mit Offenheit, Neugier und Respekt wenig zu tun haben. Ist die DLRG Entscheidung deswegen richtig?

Wind kommt häufiger aus anderen Richtungen. © Stephan Boden

Die Geschichte mit der DLRG war sowas wie eine Initialzündung für die heutige Ausgabe dieser Kolumne, weil sie ein Unbehagen sichtbar macht, das ich seit einiger Zeit mit mir herumtrage. Der Landesverband in Württemberg schreibt sich die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausdrücklich in die Satzung und erklärt, dass eine aktive AfD-Mitgliedschaft damit nicht vereinbar sei. Formal ist das sauber, inhaltlich nachvollziehbar, moralisch sowieso. Und trotzdem bleibe ich hängen. Und überlege. 

Ich verstehe die Entscheidung, ja ich begrüße sowas sogar eigentlich tief in mir. Eine Organisation, die Menschen rettet, braucht klare Werte. Wer anderen aus dem Wasser hilft, ohne zu fragen, woher sie kommen oder wie sie leben, kann schwerlich zugleich Teil einer politischen Bewegung sein, die genau diese Fragen in den Vordergrund rückt. Parteipolitisch neutral zu sein heißt nicht, werteneutral zu sein. 

Gleichzeitig beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Nicht wegen der DLRG, sondern wegen der Dynamik, die solche Entscheidungen auslösen. Die AfD strickt daraus ihren nächsten Opfermythos, ihr altbekanntes „Mimimi“ auf Endlosschleife laufen lassen. Aus jeder Abgrenzung wird ein Beweis für Ausgrenzung, aus jeder Haltung ein Angriff. Ich fürchte, dass genau das diese Partei weiter füttert, selbst dort, wo sie inhaltlich völlig ohne Antworten dasteht.

In der Vergangenheit wurde oft versucht, Maßnahmen in dieser Art gegen die Rechtspartei zu ergreifen, dennoch wächst und wächst sie. Auch wenn ich beim lesen von Kommentaren wie „das ist Ausgrenzung“ meist denke: „tja, da seht ihr mal, wie das ist“ habe ich kein gutes Gefühl dabei. Und dann ist da noch eine zweite Ebene, die mich seit längerer Zeit beschäftigt.

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8 Antworten zu „Stephan Bodens Kolumne: Über den Mythos des weltoffenen Seglers“

  1. Blues Inc.

    sagt:

    Menschen mit ähnlichen Interessen, haben nicht unbedingt auch ähnliche Ansichten und Werte.
    Offenheit. Neugier und Respekt machen für mich das Leben leichter und doch scheinen diese Werte in der öffentlichen Meinung eine immer geringere Rolle zu spielen. Rechte Ideen und Nationalismus waren nie weg, sondern werden nun durch durch stumpfe Meinungsmache, Trollfabriken, inszenierte Shitstorms und so weiter, wieder salonfähig gemacht.
    Das dadurch lebensrettende Vereine wie die DLRG und auch die DGzRS in Frage gestellt werden ist aus meiner Sicht einfach nur dumm. Das wird man den rechten Schreihälsen am Liegeplatz nebenan oder im Nachbarstrandkorb oder auf der Nachbarliege am Baggersee ja wohl noch sagen dürfen (Ironie).

  2. sailor

    sagt:

    Die Annahme, dass Segler weltoffener sind, ist aus meiner Sicht nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Es gibt Studien z.B. zur Kontakthypothese, nach der man toleranter ist und weniger Vorurteile hat, wenn man Kontakt zu anderen Kulturen hat. Man könnte vermuten, dass Segler häufiger im Ausland sind, als der Durchschnittsdeutsche.
    Das das kein Automatismus (Reisen=Toleranz) ist, ist auch klar. Es gibt ja auch Faschisten, die gerne Reisen nach dem Motto „ich habe alle Kulturen gesehen und meine ist die beste“.

    Das rechtsextreme/antidemokratische Einstellungen in der Segelszene stark sind, wundert mich aber leider nicht, da es die große Überschneidung zum rechten Durchschnittswähler (männlich, weiß, alt) gibt.

    Die soziale Durchmischung in der Segelszene ist wegen der hohen finanziellen Einstiegshürden wahrscheinlich auch viel geringer als im Rest des Landes. Das wäre nach der Kontakthypothese dann wieder nachteilig.

    Trotz der Erkenntnis finde ich es vor allem wichtig Haltung zu zeigen, wenn an Bord oder am Steg rassistische/antidemokratische/frauenfeindliche/usw. Aussagen gemacht werden und Einspruch zu erheben und zu sagen, dass das in unserem Land keinen Platz hat.

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    1. Die Vorstellung: männlich, weiß, alt als typischer AfD Wähler ist falsch. Bei den U18 Wahlumfragen in Brandenburg landete die AfD bei weit über 40%. Und schau Dir mal AfD Kundgebungen an: viele Frauen, viele junge Menschen. Die derzeit 24% laut Umfragen AfD Wähler sind nicht nur alte, weiße Männer. Dieses Narrativ wird zwar gern verbreitet, nur stimmt es nicht. Das tut auch der Sache nicht gut – übrigens bin ich alt, weiß, männlich.

  3. Hans W.

    sagt:

    „Erwartungshaltungsenttäuschung“ tritt vermutlich auch dann ein, wenn man etwas erwartet, was so von Anfang an nicht gut begründet erwartbar ist. Nämlich ob Segler weltoffener sind. Warum sollten sie das überhaupt sein? Sie bestimmt offen ihren Hobby-Kollegen gegenüber, selbst wenn diese fremd sind. Aber wo steht geschrieben, dass sie weltoffen sind? Ich sehe das gar nicht.

    Ich persönlich finde die Idee, mit einem aktiven Rechten oder aktiven Linken auf einem Boot zu sitzen, befremdlich. Aber ich finde auch, dass wir nach Möglichkeit zusammenrücken sollen, und nicht auseinander. Und da finde ich dieses „die haben aber mit dem Mobben angefangen“ wenig visionär und zielführend.

    Roger, over and out 🙂

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    1. Lebenseinstellungen entstehen in meiner Welt auch durch Lebenserfahrungen. Deswegen finde ich es befremdlich, wenn Menschen, die auf ihren Segelbooten viel herumkommen, fremde Länder bereisen, andere Kulturen kennenlernen und in manchen Fällen auch dort an Bord leben, eine Partei unterstützen und gutheißen, die Ressentiments gegen genau all das hegt. Ich finde persönlich, ein weiter Horizont sollte sich eigentlich auch auf den Kopf übertragen. Leider ist das eine Fehleinschätzung.

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      1. Hans W.

        sagt:

        Mir wird hier zuviel durcheinander geworfen. Ich rede von „Erwartungshaltungsenttäuschung“, Du antwortest mit „Lebenseinstellungen“. Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun.

        Ausserdem reden wir doch hier nur über den DLRG-Verband Würtemberg, oder? Ja, da gehört der Bodensee dazu, da kann man schon fremde Länder bereisen, andere Kulturen kennenlernen und in manchen Fällen auch dort an Bord leben. Aber spätestens am Rheinfall oder der Brücke in Konschtanz ist daddeldu mit großer weiter Welt.

        In mein Rettungsboot kommen keine Extremisten, aber wenn es hart auf hart kommt, und dann nehme ich auch sie. Ich es sprengt meine Vorstellungskraft, das ein DLRG-AfD-Funktionär, wenn er am Max-Eyth-See eine PoC ertrinken sieht, das er/sie dann nicht tätig wird. Das wirkt mir alles zu sehr konstruiert.

        PS: Wir haben auch Spacken im Verein. Irgendwie finden wir aber eine anderen Umgang mit ihnen.

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        1. Doch, hat es. Meine Erwartungshaltung entsteht dadurch, dass ich eben davon ausgehe, dass die Lebenseinstellung durch die See geprägt wird. Wie gesagt, ich liege da offenbar falsch.

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  4. MokaM

    sagt:

    Sehr gute Haltung und guter Artikel, Kompliment.

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