Mathias Müller von Blumencron (57) hat gerade mit dem Sieg beim Medien Cup im Liga-Format seglerische Vielseitigkeit bewiesen. Nun will er aber wieder raus auf den Atlantik. Warum? Er versucht es selber zu erklären.

Am 8. Juli startet die Atlantic Anniversary Regatta (AAR). 17 Crews segeln von Bermuda nach Hamburg und feiern damit das 150. Jubiläum des NRV. Zu den Skippern gehört der Hamburger Mathias Müller von Blumencron, der sich mit seiner Class 40 RED schon Herausforderungen stellte wie dem Fastnet Race, der Azoren-Regatta Les Sables – Horta., oder dem Atlantik-Rennen Quebec – St. Malo.
Der ehemalige Spiegel-Chef grübelt, was ihn immer wieder hinauszieht raus aufs Meer. Was die Faszination ausmacht:

Warum?
Gestern Nacht, nach einem sehr, sehr langen Flug zu einer Insel weit, weit weg. Es war einer dieser freudvollen Abende, als plötzlich diese Frage hochkam: Warum tun wir das eigentlich? Warum bleiben wir nicht einfach mit unseren Freunden an diesem wunderschönen Ort und erfreuen uns an der Natur, der Gesellschaft, dem Essen, den Gesprächen?
Was macht diesen großen, blauen Ozean da draußen noch anziehender als einen wundervollen Abend wie diesen? Ich frage mich das immer wieder. Warum die Komfort-Zone verlassen? Warum reicht es nicht, einfach da zu sein, wo man gerade ist? Warum diese Unruhe und das Verlangen nach neuen Horizonten? Und warum tut man das auch noch mit einem ziemlich unkomfortablen Fahrzeug, bei Schlafentzug, vielfach nassem Wetter, extremer Lautstärke, Tag für Tag?

Vielleicht, weil es hauptsächlich die Herausforderung des Unbekannten ist. An Land tendieren wir dazu, das Vertraute zu suchen. Unsere Erwartungen an das Unbekannte sind eher intellektuell geprägt wie beim Lesen eines guten Buches oder dem Entwickeln von Ideen. Beim Hören neuer Musik, dem Probieren exotischer Speise.
Aber das Segeln in der großen blauen Welt ist viel archaischer, näher dran an den alten Instinkten und unseren Seelen. Es gewährt ein Rendezvous mit etwas tief in uns drin. Daraus entsteht Freude, Befriedigung und Selbstbewusstsein. Beim Tagesgeschäft an Land geht es so schnell verloren, dass wir Tage, Wochen und manchmal Monate benötigen, um uns wieder an das Leben zuhause zu gewöhnen, wenn wir nach einem langen Törn auf See zurück im Hafen sind.

Manche Menschen finden Zufriedenheit in digitalen Sphären, wo sie ihren digitalen Zwilling entdecken – wie im Kino oder bei Computerspielen. Auf dem Ozean ist es anders: Wir entdecken einen anderen Zwilling tief in uns drin. Er ist menschlich, natürlich, wesentlich und eng mit unseren Wurzeln verbunden.
Es ist keine einfache Aufgabe, sich selber besser zu verstehen. Man muss daran arbeiten. Und manchmal muss man sich herausfordern, um sich näher zu kommen. Es gibt kaum eine schönere Herausforderung, als draußen in der Natur zu sein, weit weg von dem bekannten Terrain, wo wir unser tägliches Leben leben. Näher dran sein an der Sphäre, aus der wir alle stammen.
Aber nun genug davon! Jetzt erstmal frühstücken und dann endlich raus aufs Wasser!
Zur Person: Der Hamburger Mathias Müller von Blumencron arbeitete 21 Jahre beim Spiegel unter anderem als US-Korrespondent. Er baute Spiegel-Online auf und war zuletzt bis 2013 Chefredakteur beim Spiegel. Danach wechselte er zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Chefredakteur für digitale Produkte, wo er Ende 2017 seinen Abschied nahm. Blumencron entstammt einer Segelfamilie und genoss eine intensive Jollen-Ausbildung an der Elbe. Bruder Othmar segelte im Finn-Dinghy bei Olympia (1992 Platz 6).
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