Armel Tripon musste nur noch mal eben schnell 48 h alleine auf seiner nagelneuen „Occitane“ segeln. Doch dann krachte es gewaltig – schafft er es zur ultimativen Quali-Regatta Vendée-Arctique?
„Shit“ passiert immer, wenn man ein Malheur am Wenigsten gebrauchen kann – „Murphy’s Law“ gilt immer und überall. Oder gibt es eine andere Beschreibung für das, was Armel Tripon auf seinem nagelneuen, spektakulären Plattbug-IMOCA „Occitane“ passiert ist?
Dass der Bretone mit seinem Projekt „Vendée Globe 2020 auf l’Occitane“ eine ziemlich enge Terminierung fährt, ist in der französischen IMOCA-Szene hinlänglich bekannt. Als letzten von sieben IMOCA-Neubauten ließ Tripon seinen Renner am 31. Januar 2020 ins Wasser, machte ein paar Testschläge vor der bretonischen Küste, konfigurierte die Segel und musste vor allem seine Computer mit Foiling-Daten für den Autopiloten füttern. Denn mit seinem radikalen Rumpf- und Bug-Design – gezeichnet vom Mini-und Class40-Spezialisten Sam Manuard – sowie den extrem ausladenden Foils ist ein Profitieren von den Daten anderer, vergleichbarer Designs eben nicht möglich. (SR-Artikel „Schwierig, die Bremse zu finden“).
Qualifikation für die Qualifikation
Und jetzt, nach dem kräftezehrenden und zeitfressenden Lockdown, konnte logischerweise alles nur noch mit heißer Nadel gestrickt werden. Weitere technische Testfahrten und Manöver- sowie Trimm-Trainings, solo oder mit Crew, waren nötig, um rechtzeitig für die VALSO (Vendée Arctique Les Sables-d’Olonne) fertig zu werden. Denn die wiederum ist die letzte Chance für Armel Tripon und seinen Neubau „l’Occitane“, um sich für die Vendée Globe zu qualifizieren.
Doch für diese Qualifikation musste sich Tripon ebenfalls qualifizieren: Mit einem 48-Stunden-Solo-Ritt.
Eigentlich eine Routine-Angelegenheit für einen versierten Hochsee-Skipper wie Tripon. Ein Wetterfenster abwarten, Routing-Daten in den Computer eingeben und der spuckt dann meist eine ca. 48 bis 54 Stunden lange, wohlbekannte Strecke aus: Von der französischen Küste zum Fastnet und wieder zurück.
Diesmal lauerte allerdings ein Tief am Eingang des Ärmelkanals. Für IMOCA ist sowas eher Spaßfaktor als Grund zur Sorge, doch Tripon wollte auf „Nummer sicher“ gehen und kurvte lieber „au large de la cote bretonne“ herum, drehte also seine zwei Tage und zwei Nächte langen Runden weit draußen vor der bretonischen Küste.
Und dort passierte, was offenbar passieren musste: „Occitane“ kollidierte mit einem UFO (Unidentified Floating Object). Ein großer Riss öffnete sich auf der Steuerbordseite kurz hinter der Scow-Bug-Rundung und das Boot machte Wasser.
„zen“ geblieben
Nun gibt es Skipper, bei denen in solchen Situationen (verständlicherweise) Hektik ausbricht. Die nach Hilfe rufen, ihr Boot vor dem inneren Auge versinken sehen oder sich selbst schon mal für die Helikopter-Rettung bereit machen. Doch Tripon zählt ganz offensichtlich zu der anderen Sorte Mensch. Wieder zurück an Land berichtete er, dass er „eigentlich keine Angst gespürt habe“ und die ganze Zeit „zen geblieben“ sei. Und wenn ein Franzose „zen“ als Adjektiv nutzt, dann meint er die größtmögliche Entspannung in haarigen Situationen.
Tripon konnte jedenfalls nicht ausmachen, auf was er gefahren war – auf einen Wal, Baumstamm oder Container? Und das, obwohl er „nur mit 18 Knoten Speed unterwegs war“ wie er immer wieder beteuert. Eine Geschwindigkeit, die auf den IMOCA noch im Relax- pardon: Zen-Modus gefahren wird.
Erster Schadensbefund: Es drang zwar viel Wasser ins Boot, doch es sammelte sich nur im vorderen Schott. Und Tripon segelte cool weiter.
„Ich musste schließlich unbedingt die Qualifikation für die VALSO beenden. Sonst wäre alles, inklusive Vendée Globe, verloren gewesen.“ Also segelte Tripon noch die restlichen Stunden seiner Qualifikation fertig und im Hafen erwartete ihn bereits sein Shore Team.
Nicht die Reparatur, sondern die Vor- und Nachbereitungen
Deren derzeitige Aufgabe wird selbst in Reparatur-erfahrenen Bootsbauerkreisen als kniffelig bezeichnet. Der Riss/das Loch ist an einer strukturell schwierigen Stelle entstanden, u.a. weil dort der Wellenschlag besonders häufig aufs Boot trifft. Doch das größte Problem ist und bleibt der Zeitdruck: Start der VALSO ist am 4. Juli, der Skipper muss zuvor eine Woche lang in Quarantäne, genauso wie seine beiden Mitsegler, die mit ihm am 3.Juli die IMOCA nach Les Sables d’Olonne zur Startlinie überführen sollen.
Nach Aussagen der Shore-Crew sorgt jedoch für den größten Zeitdruck nicht die Reparatur als solche, sondern deren Vor- und Nachbereitungen. Mast legen, 60-Fußer kranen, Kiel heraus nehmen, reparieren, Kiel wieder anhängen, Boot kranen, Mast setzen… eine enorme Arbeit, vor allem, wenn das Boot topfit und mit perfektem Trimm über die Startlinie segeln soll.
Startlinie ist 72 h offen
„Zur Not kann ich auch noch hinter meinen Kumpeln hersegeln,“ sagt Tripon grinsend. Denn bei (fast) allen großen Hochseeregatten bleibt die Startlinie 72 Stunden geöffnet. Das ist gute Tradition aller Organisatoren, die aus reichlich Erfahrung wissen, dass trotz jahrelanger Kampagnen-Vorbereitungen immer genau nach dem Start irgendwas kaputt geht und mal eben schnell noch an Land repariert werden muss.
„Murphy“ lauert mit seinem blöden Gesetz eben immer dann, wenn man ihn überhaupt nicht gebrauchen kann.
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