Langsam, aber sicher steigt die Spannungskurve im Hochsee-Regattahafen „La Base“. Vor Lorient wird am 29.5. der Start zum Ocean Race Europe geschossen – die erste Pressekonferenz gibt ein Stimmungsbild wieder.
Noch ist Lorient nicht im Ocean Race Europe-Fieber. Noch sind nicht alle Boote im ehemaligen U-Boot-Bunker-Starthafen „La Base“. Einige Teams – egal, ob VO65 oder IMOCA – trainieren auf dem Ozean ihre Manöver bis zum Abwinken, andere hängen im Hafen ab und basteln an letzten Vorbereitungen.
Die Organisatoren des Rennens schlagen sich noch mit den staatlich verordneten Auflagen in Sachen „COVID-Hygiene“ herum und müssen teils ihre Richtlinien „im letzten Moment“ ändern oder korrigieren. Doch langsam steigt der Spannungspegel, was sich auch in immer dichteren „Szene-Diskussionen“ hinter den berüchtigten Kulissen äußert.
Jetzt sind sie wieder aktiv und in ihrem Element, die Trainingsweltmeister, verkappten Vendée-Globe-Sieger und besten Préparateure aller Zeiten. Beim Bier oder Blanc auf der Bar-Terrasse – seit Mittwoch haben die Franzosen ihre strikten Lockdown-Regeln deutlich gelockert – wird wieder alles durchgekaut, was nicht niet- und nagelfest ist. Interessanterweise spielt dabei diesmal das deutsche Team eine gewisse Rolle – und zwar im positiven Sinne! Die Szene ist sich nämlich in einem Punkt einig: Mit dem Anheuern von Benjamin Dutreux hat das Offshore Team Germany menschlich und strategisch einen klugen, wenn nicht sogar genialen Schachzug gemacht.
Französischer Repräsentant des Deutschen Teams
Denn der Underdog und (einer der) Sympathiesieger der letzten Vendée Globe wird von seinen Kollegen und Fans gleichermaßen gemocht. Sein lockeres, meist zurückhaltendes Auftreten, seine gewisse Lässigkeit aber auch sein seglerisches und navigatorisches Know-how werden sehr geschätzt. Entsprechend steigt das Interesse der ansonsten eher „patriotisch“ berichtenden französischen Sportjournalisten am Offshore Team Germany.
Was sich auch in der heutigen ersten Presse-Konferenz anlässlich des Ocean Race Europe äußert, bei der Benjamin Dutreux als Vertreter des Offshore Team Germany einer der gefragtesten Protagonisten ist.
Die Highlights
Im Mittelpunkt des Interesses stehen eindeutig die Eindrücke der Vendée Globe-Helden in ihrer neuen Rolle als Team Player.
So zeigt sich etwas Thomas Ruyant, der sein Boot seit 10 Tagen wieder im Wasser hat, mittlerweile vier längere Trainingsausfahrten und eine Nachtfahrt im Team absolvierte, extrem überrascht von der Geschwindigkeit, mit der nun Manöver möglich sind. Das eröffne deutlich größere Optionen in der Taktik, gerade bei Rennen in Küstennähe, wo schnelle Manöver im richtigen Moment entscheidend sein können.
Auf die etwas süffisant klingende Frage, wie es sich denn auf dem deutschen Boot anfühle, dem einzigen IMOCA ohne Foils in diesem Rennen, antwortet Dutreux: „Leute, Ihr werdet überrascht sein, aber dort geht es richtig schnell und zackig zu. Es herrscht olympischer Geist, die Crew ist voll motiviert!“ Er erlebe an Bord eine tolle Disziplin und sehr akkurates Arbeiten, was sich letztendlich in der Performance des gesamten Teams niederschlage.
Klar, das Boot sei bestimmt nicht das schnellste, aber gerade beim Thema Manöver sei er doch sehr überrascht gewesen – und zwar positiv! Es sei erklärtes Ziel beim OTG, fehlenden Bootsspeed mit guter Taktik auszugleichen, bemerkte Dutreux weiter. „Und genau da kann ich mich gut einbringen. Auch wenn mein Englisch miserabel ist, werde ich mich in erster Linie um navigatorische Aufgaben kümmern und die Koordination der Manöver an Bord übernehmen. Denn ich weiß was ich einem IMOCA in welcher Situation zumuten kann und was besser nicht!“
Umbauten? Eher wenige bis gar keine.
Auch die Umbauten an Bord finden die Journalisten in dieser Presse Konferenz zumindest im Ansatz spannend. Von denen es jedoch ganz offensichtlich nur wenige gibt. So berichtet Thomas Ruyant etwas kleinlaut, dass er sich um den Komfort an Bord eigentlich überhaupt nicht gekümmert habe. „Klar, es wird in den Manövern manchmal etwas eng, aber dafür sind sie schneller erledigt!“ Außerdem habe er – hört, hört – ein paar Matratzen mehr an Bord, damit jeder zu seinem Schlaf komme. Ansonsten sei alles noch genau so wie bei der Vendée Globe geblieben.
Nicolas Troussel (Corum l’Epargne) beschreibt ein neues Sitz-System, das er für die Rudergänger installieren ließ, um dort auf langen Schlägen bei raueren Bedingungen – wenn im 20-Sekunden-Rhythmus hektoliterweise Wasser über Deck auf die Rudergänger prasselt – zumindest einen Hauch von Komfort zu bieten. Ein Vorteil, der jedoch mit der neuen Autopiloten-Regel (davon später mehr) schon wieder ausgehebelt wurde.
Auch hierzu hat Benjamin Dutreux Interessantes vom deutschen Boot und Team zu berichten: „In Sachen Komfort wurden auch auf der Einstein eher wenige Änderungen vorgenommen. Allerdings sorgte Annie Lush dafür, dass einige Winschen mehr an Bord sind, um die Manöver effizienter fahren zu können. Vorgabe: Im Manöver keinen Speed verlieren!“ Also nicht, wie sonst auf IMOCA durchaus üblich, Speed rausnehmen und Segel wechseln oder Reffs „einbinden“. Sondern eben alles wie bei Küsten-Dreieckskursen, ohne jeglichen Speedverlust „Schlag auf Schlag“ durchführen. Eine Sache scheint Dutreux jedoch gewisse Sorgen zu machen: „Ich bin überrascht, wie viele Arbeiten auf dem Vordeck vorgesehen sind!“ Das könne, je nach Wetterlage, ziemlich gefährlich werden.
Autopilot doch erlaubt – enttäuschend für OTG
Die vielleicht wichtigste, strategische Aspekt wurden gegen Ende der PK besprochen: Die Freigabe des vollen Autopiloten-Systems. War noch bis vor Kurzem nur ein Kompass-Autopiloten-System vorgesehen und somit die nahezu ständige Notwendigkeit, Mann oder Frau am Ruder zu haben, können jetzt alle Autopiloten-Systeme der IMOCA voll eingesetzt werden.
Argument: Je nach Wetterlage würden auf den meisten Booten die Rudergänger nicht unter einer Dauerdusche, sondern unter einem Dauer-Wasserfall sitzen. Zudem sei es eben unter Autopilot deutlich sicherer, einen Foil-IMOCA zu steuern als von menschlicher Hand. Ruyant und Burton beschwichtigten gleich, indem sie darauf hinweisen, dass sie trotz des nun möglichen, permanenten Autopiloten-Einsatzes dennoch „alle paar Stunden einer von der Crew am Steuer stehen soll“.
Auch hierzu antwortet Dutreux auf eine SR-Frage : „Klar, in dem Punkt sind wir auf dem einzigen IMOCA ohne Foils klar im Nachteil. Denn wir hatten schon damit gerechnet, dass beim menschlichen Steuern der Foiler mit Sicherheit Fehler auftreten werden.“ Das OTG habe sich voll darauf eingestellt, ohne Autopiloten eine klassische Crew-Regatta zu segeln, ergänzte Dutreux. Das Autopilioten-System auf dem deutschen IMOCA sei per se nicht mit den neuesten Modellen der letzten beiden Generationen zu vergleichen, die auf den anderen IMOCAs im Einsatz sind.
„Hauptsache kein Englisch!“
Beim Ocean Race Europe machen überraschend nur wenige IMOCA-Teams von der Möglichkeit Gebrauch, einen Mediamann respektive eine Medienfrau mit an Bord zu nehmen. Schließlich ist das in einem Jahr bei der Regatta um die Welt Pflicht. Aber Thomas Ruyant vermeldet, dass er und Clarisse Cremer diesmal „das bisschen Filmen“ auch selbst erledigen können – sie hätten das schließlich während der Vendée Globe zu aller Zufriedenheit gemacht.
Louis Burton und seine Frau Servane Escoffier wollen ebenfalls die Kamera selbst führen. Bei den anderen Teams soll wiederum „jeder ein paar Handy-Aufnahmen machen“, die dann an Land gesendet würden.
Benjamin Dutreux dagegen gibt sich hoch zufrieden mit dem Einsatz des deutschen Mediamannes Felix Diemer: „Ich finde, der macht einen klasse Job, wodurch wir Anderen konzentriert weiter arbeiten können. Hauptsache, er filmt mich nicht, wenn ich in Englisch radebreche!“
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