Es kann nur einen geben! Jahrzehntelang segelte Jeremie Beyou nach diesem Wettkampf-Motto bei der Vendée Globe. Jetzt lernt er die andere Seite der Regatta kennen. Gewöhnungsbedürftig, aber auch erstaunlich.
Wer ist der „härteste Hund“ dieser Vendée Globe? Kevin Escoffier, weil ihm das Boot unterm Hintern auseinanderbrach, absoff und er eine Nacht lang in der Rettungsinsel bibbern musste? Jean le Cam, weil er Escoffier heldenhaft rettete? Thomas Ruyant, weil er akrobatisch sein Foil nach einer Kollision mit einem UFO absägen musste? Louis Burton, weil er drei Mal im Windschatten einer Insel in den Mast musste, um eine aussichtslos erscheinende Reparatur doch bravourös zu meistern? Kojiro Shirashi, weil er sein zerrissenes Großsegel tage- und nächtelang flickte und seitdem mit Reff 1 in einem der jüngsten und schnellsten Boote dieser Flotte hinter derselben herzuckelt? Sebastien Destremau, weil ihm sein Kajütdach aus Pappe (!) gleich von den ersten Brechern weich- und weggespült wurde?
Nein, der härteste Hund dieser Vendée Globe ist (bis jetzt) eindeutig Jeremie Beyou. Der Mann, dessen IMOCA-Bug Sponsoren-bedingt ein Bulle ziert und der sich nun, wie ein wütender Stier die ganze Herde, pardon: Flotte sozusagen vor sich hertreibt. Und dabei aus dem Grübeln, Hadern, Zaudern und schicksalhaftem Zweifeln nicht mehr rauskommt.
Zurück in den Stall
Man muss sich das mal vorstellen: Da ist also dieser Jeremie Beyou, immerhin Dritter der letzten Vendée Globe auf einem verhältnismäßig alten Untersatz, endlich soweit und erhält vor drei Jahren einen nagelneuen IMOCA, der bis heute als State of the Art gilt. Der erste, rund um Foils gebaute IMOCA (und nicht umgekehrt), ein Boot in einem futuristischen Design und einem derart kämpferischen Look, das den potentiellen Gegnern schon beim schieren Anblick das Herz in die Hosentasche rutschte.
Dieser Jeremie Beyou hatte nur das Eine im Kopf: An den Start der Vendée Globe zu kommen und dieselbe bitteschön zu gewinnen.
Und Beyou machte alles richtig. Er galt als der Trainingsfleißigste unter den Vendée Globe-Aspiranten, sein Shore Team leistete jahrelang perfekte Arbeit, bei Vergleichsregatten und -fahrten stellte sich seine „Charal“ (Sponsor = eine Fleischkonserven-Marke) immer als eines der besten, wenn nicht sogar das schnellste Boot heraus. Besonders wichtig: Im Vergleich zu den nachfolgenden, von seinen Werten und Erfahrungen profitierenden Neubauten, hatten Beyou und sein Team ausreichend Zeit das Boot zu testen, konfigurieren, präparieren und optimieren. Kurz, wenn es einen eindeutigen Favoriten für dieses Rennen gab, dann war es Beyou auf Charal.
Sagten zumindest die Franzosen, wohlweislich einen Alex Thomson auf der nagelneuen Hugo Boss ausklammernd. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was soll das noch bringen?
Nachdem er die letzte, spektakuläre Qualifikationsregatta „Sables-Arctique“ zwar nur knapp, aber immerhin gewonnen hatte, machte sich dieser Jeremie Beyou also auf, seinen Vorschusslorbeeren und den Erwartungen, die er sich selbst auferlegt hatte, gerecht zu werden.
Alles klappte bestens ab dem Start der Vendée Globe. Beyou und Charal bestimmten den Rhythmus in der Biskaya, alles lief planmäßig.
Bis er schon querab Finisterre, nach 2,5 Tagen, wegen einem auf See irreparablen Schaden am Backstag und nach einer Kollision mit Treibgut nach les Sables d’Olonnes zurücksegeln musste. Die Regeln der Vendée Globe besagen, dass man innerhalb eine gesetzten Zeitrahmens nach dem Start zur Reparatur wieder in den Starthafen zurück darf, ohne dass man wegen Landgang disqualifiziert wird.
Um das nochmal klarzustellen: Nach vier Jahren mentaler und drei Jahren physischer, materieller und emotionaler Vorbereitung auf diese Vendée Globe, nach einem zuvor nur selten erlebten Medienrummel um Mann und Boot, war für den gesetzten Favoriten, für den Skipper mit dem angeblich besten IMOCA dieser Flotte drei Tage nach dem Start das Ende, Aus und Amen gekommen.
Oder doch nicht?
Neun Tage später, am 17.11.2020 startete Jeremie Beyou auf seinem „Charal“ erneut. Um seine ganz persönliche Vendée Globe zu segeln. Offiziell, weil er zumindest noch einen Streckenrekord fahren wollte – was der schnellsten Einhand-Nonstop-Weltumseglung auf einem Monorumpf gleichkommt. Oder um vielleicht in einem günstigen Wetterfenster einen 24-Stunden-Weltrekord aufzustellen. In keinem Fall aber, um noch in die Top Ten zu gelangen, geschweige denn, um das Rennen zu gewinnen.
Inoffiziell oder besser gesagt in Wirklichkeit segelte Jeremie Beyou jedoch los, weil er es seinen Sponsoren und deren Entourage, weil er es seiner Familie, seinen Kindern, seinen Fans, Freunden, aber keinesfalls sich selbst schuldig war. Trotz eines kurz vor dem Start der Vendée Globe schwer erkrankten Vaters, trotz eines ganz offensichtlich nicht drängenden Sponsors legten Mann und Boot wieder ab, stachen mit den Hörnern des aufgeklebten Bullen buchstäblich in die See und Wellen. Mit einem Skipper, der aus eigener Motivation niemals gestartet wäre. Mit einem Segler, der ein Hinterhersegeln einfach nicht in den Genen hat.
Frust, Frust, Frust
Die ersten Tage und Wochen waren grauenhaft. In mittlerweile zahlreichen Interviews, Social-Media-Posts und während der obligatorischen Berichte an die Regattaleitung legte Jeremie Beyou seine Seelenqualen, sein bröckelndes Selbstbewusstsein und seinen tiefen Frust bloß.
Und wem das jetzt alles ein wenig zu theatralisch klingt, der möge sich einfach mal in diesen Vendée Globe Favoriten hineinversetzen, der mit neun Tagen Rückstand hinter seinen Konkurrenten hersegelte.
Beyou gilt nicht nur unter Vertrauten und sportlichen Gegnern als Frontschwein. Er fühlt sich überall dort wohl, wo sportlich gekämpft wird. Mitsegler beschreiben ihn als ungnädigen, äußerst selbstbewussten Skipper (um es milde auszudrücken), der sich vor keinem Duell auf See scheute und dem keiner so schnell etwas vormachen konnte. Er ist technisch versiert, ein „debrouillard“, also einer, der alles irgendwie hingebastelt bekommt, der sich mit allem auskennt.
Außerdem gilt Beyou als klasse Taktiker, der mit den Wetterunbilden genauso klarkommt wie mit aufmüpfigen Konkurrenten, die dann doch mal schneller segeln als er.
Und dieser Kampfstier macht sich nun an eine Aufholjagd. Schon bei der Ankunft im südlichen Atlantik wird klar, dass es mit dem Streckenrekord nichts werden kann: Das angepeilte Wetterfenster schlägt zu, zuviele Schwachwindtage zermürben den Segler zusätzlich.
Das Drama um Kevin Escoffier und den Untergang seiner IMOCA, erlebt Jeremie Beyou – wie alle anderen Teilnehmer auch – häppchenweise durch Informationen von den Shore-Crews und der Regattaleitung. „Damals wurde mir zum ersten Mal klar, wie fertig ich doch bin,“ berichtet er Tage später. „Ich hatte zum ersten Mal richtig Angst auf See. Mir war nämlich wie Schuppen von den Augen gefallen: Hinter Dir segelt keiner. Also kann dich auch niemand retten, wenn Dir Dein Kahn in einer miesen Welle absäuft!“ Der Regatta-Haudegen, der schon x-Male die Ozeane alleine befahren hat, stellt zum ersten Mal fest, dass er alleine, wirklich alleine ist! „Das gab meiner Moral nochmal so einen richtigen Kick nach unten,“ gibt er später zu. „Was mich wirklich etwas aufheiterte? Mein Sohn, der bei der virtuellen Regatta auf dem virtuellen Atlantik auf mich gewartet hat. Damit ich wenigstens einen Gegner habe, mit dem ich mich messen kann!“
Vom Rekordjäger zum Zen-Segler
Also musste die Strategie geändert werden. Nicht mehr wie ein blindwütender Stier losrasen, um diesen Streckenrekord zu brechen, sondern vorsichtig das Boot um die Welt bringen, möglichst selten den Kopf in den Werkzeugkoffer stecken und überhaupt irgendeinen Sinn in alledem suchen.
Den fand Beyou tatsächlich. Wenn auch nur in kleinen Schritten, respektive in vielen aufeinander folgenden Gedankensprüngen. Als er sich am 8.12. der „Laternen“-Gruppe um Sebastien Destremau auf „Merci“ näherte, war Beyou froh, wieder andere Segler um sich herum zu haben. „Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so lange am Ende einer Regatta gesegelt bin. Und jetzt bin ich mit den anderen der suboptimal Platzierten zusammen und stelle fest: Die segeln auch nicht spazieren! Die müssen richtig ran. Und sie sind durchaus gute Segler, nur dass ihr Material eher weniger geeignet ist, um nach vorne zu gelangen. Und sie haben ein anderes Zeil als ich. Nur welches, das weiß ich noch nicht.“
Teilweise hängt sich Kojiro Shiraishi auf dem Charal-Schwesterboot „DMG Mori“ an Beyou an. Und vor allem in frischeren Winden, kann sich Charal nicht allzu deutlich absetzen.
Nahezu gemeinsam kämpfen sie sich auf die Ränge 21 und 22 vor, in einer Leichtwindzone muss DMG Mori allerdings Federn lassen, weil er das letzte Reff im Groß nicht mehr ausschütteln kann. Heute trennen die beiden schon wieder 500 Seemeilen.
„Es gibt richtig viel zu lernen“
An Bord der Charal hebt sich langsam die Stimmung, aber nur in kleinen, ganz kleinen Schritten. „Ich finde peu a peu in einen mentalen Rhythmus,“ sagt Jeremie Beyou. „Ich schlafe wieder besser, fühle mich etwas geborgener, bin wieder „drin“ im Geschehen. Und der Gedanke, der mich nach meinem zweiten Start in Les Sables immer wieder verfolgt, dieses elende‚ was mache ich hier?, der kommt jetzt etwas seltener. Vielleicht, weil ich intuitiv eine Antwort gefunden habe,“ meint Beyou nachdenklich. Er habe nun gelernt, dass die ganz hinten Platzierten eine Art eigene Regatta segeln, schon allein deswegen, weil sie in anderen Wettersystemen unterwegs sind als die Erstplatzierten. „Manche machen das richtig gut – eine Pip Hare segelt klasse Schläge, da gibt es was zum Abgucken!“ Außerdem reife in ihm immer mehr der Gedanke, dass alles, was mit ihm gerade passiere, für irgendwas gut sein muss, gut sein wird. „Keiner kann in die Zukunft schauen, keiner weiß, was ihn tatsächlich erwartet. Aber kaum jemand auf dieser Welt ist so einsam und so auf sich alleine gestellt, wie wir Einhand-Segler.
Es ist seltsam. Eigentlich ist das, was ich hier mache, gegen meine Natur. Ich bin Regattasegler und will vorne ums Podium kämpfen. Alles Andere ergibt für mich wenig Sinn. Und dennoch fühlt sich für mich gerade alles so an, als würde ich Essentielles für mein Leben lernen. Viel mehr lernen, als ich an der Spitze dieser Vendée Globe gelernt hätte!“
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