Laser SB3 WM Blog 6. Tag + Video

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Wet and wild. Fünf Tage Volldampf im Laser SB3. © Stefano Grossi / Volvo

Krisensitzung. Ich habe meinen Lieblingsplatz im Circolo Vela Torbole eingenommen. Etwas versteckt im Raum nahe der Steckdose für den Rechner. Von hier lässt sich sehr gut unsere Lieblings-Italienerin betrachten. Täglich fast um die gleiche Zeit wippt sie mit einem neuen Bikini vorbei.

Die Crew bringt den Cappucino für das zu erwartende Schauspiel. Dabei besprechen wir die Taktik für den letzten Renntag. Was wollen wir uns vornehmen? Was ist noch zu holen im Niemandsland der Tabelle? Spielt es eine Rolle, ob wir 33. oder 27. werden?

Spannung liegt in der Luft. Offenbar sind die letzten Tage noch nicht verkraftet. Es geht nicht um den Bruch des Ruders. So etwas kann passieren. Es geht um den Ton an Bord. Offenbar konnte ich nicht verbergen, dass es nervt, an der Leetonne mit flatternden Segeln den Gennaker-Fischer zu geben. Kein Wunder, dass ich heiser bin.

So entwickelt sich eine spontane Diskussion über Anspruch und Wirklichkeit. Etwa fünf Mal fischen wir mit dem gelben Tuch im See und lassen jeweils rund 20 Schiffe durch. Das sind unter dem Strich 100 Punkte. Den Ruderbruch abgerechnet lägen wir im Top Ten Bereich. Genau dort, wo wir nach der Qualifikation stehen.

Vor der WM hätten wir  mit solch einem Platz nicht rechnen können. Wir haben das Schiff erst am Mittwoch vor der Regatta abgeholt und sind einen halben Tag vorher erstmals zusammen darauf gesegelt. Und dennoch hatte ich vorsichtig, mit einem Platz nahe den Top Ten geliebäugelt. Wenn das simple Laser Material-Gleichmacher-Prinzip im SB3 funktionieren würde, sollte es möglich sein. Kein großes Material-Tuning, keine komplizierten Manöver, einfach segeln.

Wir haben einmal kurz die Spannungswerte des Riggs recherchiert und mit einem geliehenen Messgerät einen Mittelwert eingestellt. Das Schiff von Ferdi Ziegelmayer ist in bestem Zustand. Die Segel sind vorher bei nur einer Serie gesegelt.

Unser einziges Problem ist ein kapitaler Denkfehler beim Gennaker-Drop-Manöver. Offenbar haben wir zu spät den Bugspriet mit der Tack-Leine gelöst. So wollten wir das Wässern des Tuchs vermeiden.  Stattdessen forcierten wir es aber genau so.

Dummerweise hat der Drop an den beiden ersten Tagen viel zu gut funktioniert, um die Basis des Manövers völlig in Frage zu stellen. Der Fehler entpuppt sich offenbar erst nach Gesprächen am Abend vor dem letzten Rennen.

Wir reden und reden … Die Köpfe werden so heiß, dass wir den Auftritt der Italienerin verpassen. Das ist schwer zu verzeihen, da sportlich an diesem letzten Tag eigentlich nichts mehr zu holen ist. Aber das Gewitter wirkt reinigend. Wir legen die Hände aufeinander, wollen noch mal voll angreifen, auch sportlich den Schlusspunkt einer genialen Segelwoche feiern.

Mini Glitsch Sequenz von unserer 26 "Else" im Video unten

Und sei es nur, um danach die was-wäre-wenn-Rechnung genüsslich zelebrieren zu können. Was wäre, wenn das Ruder nicht gebrochen wäre, dieses Missgeschick nicht passiert wäre oder jenes … Auf diese Weise kann man sich hübsch zum Weltmeister rechnen.

In der Praxis kommt der Euphorie-Dämpfer schneller als nötig. Sekunden vor dem Start quetscht sich in Lee ein Portugiese in die nicht vorhandene Lücke. Er luvt, bis wir rückwärts treiben, gegen sein Heck krachen, ein hübsches kleines Loch aufweisen, mit dem Bug herumgeschoben werden und schließlich quer vor unserem Freund, dem Engländer Hill liegen, der uns noch ein Bier schuldet und hier gerade um den WM Titel kämpft.

Es ist ziemlich peinlich, so manövrierunfähig im Feld rumzutreiben. Man möchte im Boden versinken. Auf zwei Booten werden Protestflaggen ausgerollt, die uns gelten. Gott sei Dank ist es ein Sammel-Frühstart.

Der zweite Start verläuft besser, gesitteter und einigermaßen frei. Wir schlagen nach rechts. Dort war es doch immer besser. Diesmal nicht. Dennoch reicht es für eine Top Fünfzehn Platzierung. Die sich aber an der Leetonne beim Kampf mit dem Tuch wieder verflüchtigt und zum 29. wird.

Dann eben im letzten Rennen. Und tatsächlich. Start und Seitenwahl passen. Platz sechs an der Luvtonne. Ainslie knallt noch mit Wind von Backbord an der Marke rein. Ein unwürdiges Manöver. Er kringelt lieber, als dass er sich in die Backbord Phalanx einreiht. Unter dem Strich spart er Meter, nimmt die Macke in unserem Schiff in Kauf und wird Vize-Weltmeister. Na ja …

Wir verholen uns unter Gennaker auf Platz zwei an der Leetonne. Nur Sarah-nackter-Hintern-Allan liegt noch knapp voraus.

Es hupt an der Tonne. Andreas rutscht unruhig hin und her. Ich frage genervt, ob wir bitte mal weiter segeln können?  Er glaubt allerdings, dass wir an der Tonne direkt ins Ziel hätten abdrehen müssen. Wir glauben ihm nicht. Vielleicht trägt er es eine Spur zu verunsichert vor.

Abdrehen und den schönen zweiten Platz hergeben? Einige Boote drehen nach der Leetonne tatsächlich ab. Wir segeln schließlich hinterher. Als achte treffen wir die richtige Entscheidung wie fünfzehn andere Teams. Der Rest wird mit DNF gewertet.

Der rotgesichtige, schmerbäuchige Brite Hill und Südafrika-Profi Ian Ainslie trudeln direkt nach uns über die Linie. Sie werden gesamt Erste und Zweite. Die Verwirrung sorgt für einen blöden Abschluss der WM. Aber für uns ist er versöhnlich.

Unter dem Strich war es eine verdammt super Woche mit genialen Segelbedingungen und jeder Menge Adrenalin. Der Anspruch stieg nach den ersten guten Rennen. Für ein real gutes Ergebnis fehlten dann doch ein paar Wassertage.

Ergebnisse nach 14 Rennen

Im Video 1:44 donnert mit der 103 der deutsche Goldfleet Segler Sebastian Dohrendorf mit zwei Holländern und einem Engländer an Bord vorbei

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

5 Kommentare zu „Laser SB3 WM Blog 6. Tag + Video“

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  3. Tammo sagt:

    Kann mich dem nur anschliessen: es war eine Freude, „mit zu segeln“!

  4. Birdy sagt:

    Ja, super Bericht! Man ist irgendwie mitgefahren.
    Und wie war das noch? Nach der WM ist vor der WM?
    Grüße aus der Fankurve 🙂

  5. Jan sagt:

    Trotz der unglücklichen letzten Tage meinen herzlichen Glückwunsch an euch. 27. Platz ist bei so einen riesen Feld doch immernoch respektabel und gefühlt seit ihr sowieso top ten 😉 Außerdem habt ihr mit euren bewegenden Berichten hier wirklich für Stimmung gesorgt und dazu war der ganze Ausflug doch eh gedacht oder? Habe jetzt einen wirklich interessanten Einblick in diese Klasse gewonnen. gr

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