1. Vendée-Globe-Chinese Jingkun Xu: IMOCA-Skipper mit nur einem Arm – Ufo gesehen?

Stündlich die Kielbolzen nachgezogen

Bei der der Retour à La Base ist der Chinese Jingkun Xu (34) als vorletzter Skipper ins Ziel gekommen. Er sorgt für mehr Aufmerksamkeit und hat mehr Fans alles alle anderen zusammen.

Jingkun Xu beim Zieleinlauf der Retour à La Base. © Jean-Louis Carli / Alea / Retour à La Base

Der chinesische Skipper Jingkun Xu hat mit seinem IMOCA Singchain Team Haikou die Ziellinie der Retour à La Base überquert und ist damit als Letzter der pünktlich vor Martinique gestarteten Segler angekommen. Nur Jean Le Cam befindet sich noch auf dem Rennkurs. Er ist eine Woche später losgesegelt.

Xu hat für die direkte 3500 Meilen lange Strecke (real 4061 Meilen) 13 Tage und 19 Stunden benötigt und damit nach der Route du Rhum 2022 und der Transat Jacques Vabre die dritte Transatlantik-Regatta bewältigt. Eine Qualifikationsregatta im Jahr 2024 fehlt noch, dann ist er sicher als erster Chinese bei der nächsten Vendée Globe dabei.

Xu in Feierlaune nach dem Ziel. © Jean-Louis Carli / Alea / Retour à La Base

Seine Herkunft ist allerdings nicht die einzige Besonderheit des Projektes. Xu segelt ohne seinen linken Unterarm, den er im Alter von 12 Jahren bei einem Unfall mit Feuerwerkskörpern oberhalb des Ellenbogens verlor. Dass er trotzdem an seine Chance im Segelsport glaubte, liegt auch an einer Begegnung mit Damien Seguin bei den Paralympics 2008. Seguin holte Silber im 2.4mR und Xu wurde Zehnter im Sonar. 

Der Franzose weist mit seiner fehlenden linken Hand eine ähnliche Behinderung auf und er schaffte es dennoch zur Vendée Globe. 2021 wurde er sensationell Siebter und auch aktuell gehört er zur internationalen Elite der IMOCA-Skipper. Seguin ist ihm eine Inspiration, seit dieser schon 2010 die Route du Rhum allein auf einer Class40 bewältigte.

Der erste chinesische Skipper, der bei der Vendée Globe starten will. © Singchain Team Haikou

Xu setzte nach den Paralympics voll auf den Sport. Er wurde Segllehrer, segelte 2012 die gesamte chinesische Küste in einem 24-Fuß-Kielboot ab, das er auf einer Müllhalde entdeckt und renoviert hatte. 2015 bereitete er sich in Lorient auf die Mini Transat vor. SegelReporter Michael Kunst verfolgte seinen Weg und erinnert sich an ein Schlamassel, in dem Xu damals steckte. Das hinderte diesen nicht daran als erster chinesischer Segler die Mini-Transat zu beenden. Er belegte Platz 36. von 43 Skippern in der Serien-Klasse.

Der 16 Jahre alte IMOCA, mit dem Alain Roura die Vendée Globe segelte. © Jean-Louis Carli / Alea / Retour à La Base

Danach segelte er 2017 in Begleitung seiner chinesischen Frau Sofia mit einem Lagoon-Katamaran drei Jahre lang um die Welt, bewältigte 34.000 Meilen und besuchte 40 Länder. Im Juni 2020 waren sie wieder zuhause in Qingdao. Dort gründete er eine eigene Segelschule und wurde Botschafter der Stadt.

Jingkun Xu inszeniert seine Segelabenteuer für China. © XuJingkun Racing Team

Bei seinen Abenteuern sammelte der 34-Jährige so viele Fans per Social Media, dass seine  Reichweite mehr als 130 Millionen Follower betragen soll. Und die Anhängerschaft wächst während seine Vendée-Globe-Vorbereitung immer weiter.

Er ist mit seinem 16 Jahre alten IMOCA, den Jörg Riechers schon 2016 beim Barcelona World Race segelte und der 2019 vom Schweizer Alain Roura mit Foils versehen wurde, zwar kaum konkurrenzfähig – die kleinen Tragflächen sind keine große Hilfe. Aber Roura absolvierte damit immerhin die vergangene Vendée Globe – und Xu nun schon drei Transats. Das Schiff sollte also einigermaßen verlässlich sein.

China Dream mit ihren Flügelchen hoch am Wind. © Singchain Team Haikou

Allerdings macht sich die dauerhafte Belastung offenbar immer mehr bemerkbar. Xu berichtet über seine Probleme bei der Retour à La Base. Die Segel können wegen Abnutzungserscheinungen nur noch vorsichtig belastet werden, eine Reffbefestigung riss schon ab. Und die Kielbefestigung soll sich ständig bewegt haben. “Ich musste die Kielbolzen jede Stunde wieder nachziehen.”

Im Großen und Ganzen sei aber alles gut und wie geplant gelaufen. “An Bord einer IMOCA steht man immer unter Druck, und trotz meiner Vorsicht lassen sich Schäden und andere Probleme nicht vermeiden. Da ich deutlich gebrauchte, ältere Segel benutzte, musste ich besonders vorsichtig sein, um das Gleichgewicht zwischen Geschwindigkeit und Sicherheit zu finden. Wir sind ein neues Team, das noch nicht viel Erfahrung hat. Dank dieser Art von Rennen sammeln wir mehr Erfahrung und werden uns in Zukunft verbessern.”

Fantastisch, am Leben zu sein

Aber er habe die Zeit auf dem Wasser sehr genossen. Dabei äußert er sich geradezu philosophisch: “Alles, was wir als schön oder nicht so schön erkennen, ist auf See viel auffälliger als an Land. Wenn man übermüdet ist und der Körper schmerzt, sage ich mir, dass es fantastisch ist, am Leben zu sein.”

Xu freut sich bei der TJV über seine erste IMOCA-Regatta. © Singchain Team Haikou

Das Segeln habe ihm geholfen zu verstehen, wie wenig man benötigt, um glücklich zu sein. “Ein festes Bett, Wärme, trocken zu sein und warmes Essen, das nicht ständig umkippt. Das Segeln allein lässt mich auch die Menschen noch mehr lieben. Jedes Mal, wenn ich an Land gehe, stelle ich fest, dass die Menschen wirklich liebenswert sind.”

So kann auch Mike Golding (63) nur Positives über den Chinesen berichten. Der fünfmalige britische Vendée-Globe- und neunfache Transat-Jacques-Vabre-Teilnehmer begleitete Xu bei der TJV nach Martinique.

Xu vor sechs Jahren bei seinem Langfahrt-Törn mit seiner Frau Sofia auf einem Lagoon-Katamaran:

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1830869850539211&set=pb.100008486406671.-2207520000..&type=3 

Er äußert sich beeindruckt von der Fähigkeit Xus die Manöver trotz seiner Behinderung sicher ausführen zu können. Er sei in der Hoffnung angetreten, ihm etwas von seinem Wissen vermitteln zu können, sei sich aber nicht sicher, wie sehr das funktioniert habe, sagte Golding nach der TJV.

“Jacky hat seine eigene Art, er weiß, wie man das Boot steuert. Es gibt nicht viel, was man ihm beibringen kann, denn er hat sein eigenes System. Er mag es, Dinge auf eine bestimmte Weise zu tun. Er macht die Dinge so, wie es ihm möglich ist, und das funktioniert für ihn. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, wie er segeln muss.”

Jingkun Xu und Mike Golding bei der Transat Jacques Vabre. © Singchain Team Haikou

Das größte Problem sei allerdings die Sprache gewesen, sagt Xu. “Mein Englisch ist nicht besonders gut und Mike spricht nicht Chinesisch. Manchmal war es schwer, sich zu verstehen. Aber alles, was mit dem Boot zu tun hatte, war Okay. Wir scheinen uns verstanden zu haben. Es war eine gute Erfahrung mit Mike. Es ist gut, sich auf jemanden verlassen zu können.”

Xu hofft nun, dass seine Aktivitäten in der Heimat für Nachfolger sorgen. Immer mehr junge Leute würden sich interessieren. Etwa ein Dutzend beschäftige sich schon mit eigenen Projekten wie dem Mini-Segeln. “Wir werden sie nächstes Jahr sehen. Ich glaube sie werden von mir inspiriert. Meine Erfahrungen zeigen, was alles möglich ist.”

“Ich bin aufgeregt, freue mich aber über all die Menschen, die mir folgen. Es liegt wohl daran, dass wir das erste chinesische Team sind, das so etwas tut. Darauf haben wir hingearbeitet. Wir hoffen, den Leuten unseren Offshore-Rennsport näher bringen zu können.”

Xu Jingkun

Die Mini Community feiert 2015 mit dem einarmigen Chinesen Xu Jingkun dessen Ankunft. Vorne mit dabei die Deutschen Heinze, Lenk und Lükermann. © Mini Transat

Jingkun Xu wird weiterhin alles dafür tun, um bei der nächsten Vendée Globe zu den 40 Skippern an der Startlinie zu gehören. Er verfüge über kein großes Team. “Ich mache die ganze Arbeit allein, habe vor den Trnsatlantiks also nur zwei oder drei Trainingseinheiten auf dem Boot gehabt. Es ist kein einfaches Boot, aber ich lerne schnell. Ich habe über die Funktionsweise der Elektrik verstanden, so dass ich das Boot jetzt kontrollieren kann. Aber ich muss auch noch mehr lernen und trainieren.”

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

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