Zeigen die Scows, was sie wirklich drauf haben? Warum Hendrik Witzmann gut für Top 5 ist. Und wer sagt: „Ich verliere nie! Entweder ich lerne oder ich gewinne!“
Vorneweg: Der Start zur Mini-Transat wurde verschoben. Zwar sind für Sonntag, der zunächst als Starttag vorgesehen war, beste Bedingungen vorhergesagt. In der Biskaya lauert allerdings ein Tief, das für 30-40 Knoten Wind sorgen könnte. Zuviel Wind, und der auch noch gegenan meinen die Organisatoren des Rennens. Also will man erstmal ein paar Tage im Hafen von La Rochelle abwarten.
Von wegen „dabeisein ist alles!“
Es liegt in der Natur einer Regatta, dass deren Teilnehmer möglichst gut platziert über die Ziellinie segeln wollen. Das olympische Motto „dabeisein ist alles“ liest sich zwar immer ganz nett – vor allem dann, wenn man eher im hinteren Regattafeld unterwegs ist. Doch lässt sich damit eben kein echter Wettkampf zelebrieren.
Bei den Ministen wird der berühmte Satz vom „Dabeisein“ zwar auch des öfteren vernommen – letztendlich zählt dort aber der pure Wettkampf-Esprit. Und natürlich der Wunsch, überhaupt heil drüben, auf der anderen Seite des Großen Teichs, anzukommen.
Da ist es umso erstaunlicher, dass Oliver Tessloff, einer der besten Kenner der Szene und per se ein echtes „Regattatier“, bei seinen Prognosen für die kommende Mini-Transat zunächst einmal keine sportlichen Prioritäten setzt:
„Besonders interessant ist die kommende MTA im Hinblick auf die beiden neuen Scow Konzepte bei den Serienbooten. Scow oder nicht Scow, das ist hier die Frage!“
Werden sich in der Prototypen-Wertung die beiden Scows von Francois Jambou (865), Sieger der letzten MTA 2017 mit Über-Skipper Ian Lipinski, und die deutsche „Lilienthal“ (mit Skipper Jörg Riechers vor 2 Jahren Zweitplatzierte), diesmal gesteuert von Morten Bogacki, wieder durchsetzen? Oder werden andere Designs, wie etwa der Pogo-Foiler von Tanguy Bouroullec, die zumindest abgerundete Nase vorne haben?
Noch mehr interessiert mich das bei den Serien-Minis, die erstmals bei einer Mini-Transat dieses Jahr Scows in ihren Reihen haben werden. Und das nicht nur, weil ein Scow auch für meine nächste Kampagne durchaus eine Option sein könnte.
Die Zeit der Entschuldigungen ist nach zwei Jahren „Eingewöhnungszeit“ für die beiden vertretenen Serien-Scowbug-Varianten Maxi und Vector nämlich vorbei. Bisher konnten sie höchstens ansatzweise überzeugen. Zwar steht fest, dass diese Serien-Plattbug-Boote beim Speed auf raumen Kursen durchaus schneller segeln können als ihre Konkurrenz mit herkömmlich spitzem oder leicht abgerundetem Bug im Stile einer Pogo 3. So waren Scow-Maxis etwa bei der Mini-Fastnet richtig schnell unterwegs, bis sie allesamt wegen Materialschäden ausschieden.
Anders ausgedrückt: Sollte sie “heil und in einem Stück” drüben ankommen, sollte man davon ausgehen können, dass die Scows, der Theorie zufolge, gut bis sehr gut platziert sein werden.
Zweiter spannender Aspekt bei den Scows: Da höchstwahrscheinlich über mehrere Tage ein Am-Wind-Kurs quer durch die Biskaya zu erwarten ist (derzeitige Windvorhersage zeigt für die nächste Woche(n) westliche Winde), kommt es drauf an, ob die Scows – mit erfahrungsgemäß weniger Höhe am Wind – einen Rückstand vor oder mit halbem Wind wieder aufholen werden.“
Selbstverständlich macht sich auch Oliver Tessloff seine Gedanken über Favoriten, potentielle Sieger und interessante, beobachtenswerte Segler und Seglerinnen bei der Mini-Transat 2019. Die Favoritenliste von Tessloff und miku:
Prototypen
Die bisherigen Regatten qualifizieren vor allem Axel Trehin (945), Francois Jambou (865, Sieger-Plattbug der letzten MTA) und Erwan le Mené (800). Bei nahezu allen Regatten sah man mindestens einen der Drei auf dem Podium. So lehnt man sich nicht besonders weit aus dem Fenster mit der Annahme, dass einer auch bei der Mini-Transat auf dem obersten Treppchen stehen könnte.
Da wäre auch noch Tanguy Bouroullec, der mit seinem Foiler-Prototypen (969) erst kurz vor dem Mini-Fastnet Rennen dieses Jahr gestartet ist und dabei schon beachtenswerte Erfolge eingefahren hat: Rang 3 bei der Mini Fastnet und Silber bei Transgascogne. Wenn alles „hält“ und Tanguy mit seinem Boot über längere Strecken foilen wird, könnte er als der erste Mini-Foiler in die Geschichte der Mini-Transat eingehen, der auf einem Treppchen finisht (SR-Bericht).
Doch auch der Deutsche Morten Bogacki hat auf „Lilienthal“, dem ehemaligen Plattbug von Jörg Riechers, mit dem der den sensationellen Rang 2 beim letztjährigen Mini-Transat schaffte, gute Chancen aufs Podium. Zwar ist er auf den Treppchen noch nicht zu sehen gewesen, doch könnte er durchaus für eine Überraschung gut sein. Vor allem beim kniffligen, diesjährigen Transgascogne zeigte er mit einem 5. Rang Flagge! Zudem behaupten Gerüchte in der Szene, dass Morten die gesamte vergangene Saison ohne Max-Spi gesegelt sei. Das wäre ein echtes Handicap und würde deutlich aussichtsreicheres Potential für die MTA nach sich ziehen. Jetzt sind jedenfalls „neue Segel“ an Bord der „Lilienthal“ angekommen. Fazit: Das Prototypen-Rennen wird in der Spitze höchst spannend werden.
Serienboote
Wenn alles halbwegs normal läuft und nichts schief geht ist der Italiener Ambrogio Beccaria ohne Zweifel der Top-Favorit bei den Serienbooten. Auch wenn er zuletzt bei der Transgascogne schwächelte und dadurch etwas unter Druck geraten ist. Er hat in der Vorbereitung alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Hinzu kommt sein beeindruckender Kampfgeist. Läuft es mal nicht so, zieht er ungeahnen Reserven aus dem Ärmel. Zwar könnten ihm und seiner Pogo 3 die Scows vom reinen Speedpotential her betrachtet durchaus gefährlich werden, doch zeigte Beccaria immer reichlich Kampfgeist, wenn ihm einer der Plattbugindianer auf die Pelle rückte. Er zog dann eben ein paar hochseemännische Register und schon war er wieder vorne. Während der letzten beiden Saisons segelte jedenfalls kein Serien-Minist so beständig auf Rang 1 wie der temperamentvolle Italiener. Doch zeigen seine Ausrutscher bei der Transgascogne und sein lediglich vierter Rang bei Mini en Mai, dass er verwundbar ist. Und das macht den Kampf um die Spitze dieser MTA spannend.
Wer sich ebenfalls ganz, ganz vorne einreihen könnte, ist der Franzose Matthieu Vincent (947). Der 28-jährige Sunnyboy und frühere Windsurfer (mehrere WM-Teilnahmen), zeigte zuletzt mit dem Sieg bei der Transgascogne, dass er durchaus für Überraschungen gut sein kann. Tatsache ist: Matthieu ist mit seiner Pogo 3 verdammt schnell unterwegs. In jeder Situation, wie er in der Vorbereitung gezeigt hat. Sollte er beim MTA dann alles „richtig machen“, wie bei der Trans Gascogne, ist unbedingt mit ihm zu rechnen.
Das findet auch der Deutsche Hendrik Witzmann, der allerdings unter der Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate startet (SR-Bericht, über Vergleichsfahrten Witzmann/Vincent). Dass wir Witzmann bereits an dieser Stelle nennen, also mit Blick auf einen Top 5-Rang, liegt in seiner Unberechenbarkeit begründet. Witzmann hat in einigen Regatten gezeigt, dass er als Drachen- und Soling-Segler auch eine Pogo 3 schnell, schneller, am schnellsten segeln kann. Dafür fühle er sich zuständig, stellt er in Gesprächen immer wieder klar . Wenn er Zeit und gleichbleibende Bedingungen habe, segle kaum einer an ihm vorbei. Wovor er jedoch größten Respekt habe, seien die navigatorischen und meteorologischen Aufgaben, die bei den MTA bewältigt werden müssen. Er sei eben (noch) kein Hochseesegler, hoffe aber auf gute Bedingungen und somit bestes Speedpotential für sein Boot. Je öfter Witzmann selbst steuern wird, desto schneller wird er unterwegs sein.
Oliver Tessloff: „Wenn Hendrik den Am-Wind-Kurs raus aus der Biskaya nicht in seiner Marienkäfer-Haltung im Vorschiff verbringt, weil er seekrank ist, sondern das Boot schnell Richtung Kap Finisterre steuert, wird er sich bestens positionieren, um danach den schnellen Downwind-Kurs entlang Portugal zu meistern. Das steht außer Frage!“
Tessloffs anderer „Geheimtipp“ für die Top 5 ist übrigens der Franzose Nicolas D’Estais, der sich mit einem Rang 2 bei der Mini Fastnet und einem dritten Platz beim letztjährigen Les Sables, Acores Les Sables empfiehlt. „In jedem Fall für Top Five, eher sogar für Top 3 gut.“
Sonst noch spannend
Im Prinzip verdienen natürlich alle 87 Starter und Starterinnen ein Maximum an Aufmerksamkeit. Dennoch seien euch zum Abschluss noch zwei Ministinnen empfohlen, die durchaus unter den Top Ten ein Plätzchen anpeilen.
Da wäre zunächst Amelie Grassi. Die 25-jährige Französin wurde im vergangenen Jahr Zweite in der französischen Hochseesegelwertung, siegte bei der Plastimo Lorient, wurde Zweite bei Pornichet Select und bei der Mini Fastnet. In 2019 war sie etwas verhaltener unterwegs, bereitete stattdessen trotz minimalem Budget ihr Boot optimal vor. Die „Junx“ haben reichlich Respekt vor ihr – nicht nur wegen ihres Mottos: „Ich verliere nie! Entweder ich lerne oder ich gewinne!“
Last not least Violette Dorange. Die erst 18-Jährige wird für Aufsehen sorgen – komme, was wolle. Denn Violette ist auf Spektakuläres geeicht: Sie überquerte als erste Seglerin im Optimist den Ärmelkanal, machte Furore im 420er und stieg dann direkt in den Mini-Zirkus ein (SR-Bericht). Dort brillierte sie bei manchen Regatten mit teils hervorragenden Zwischenplatzierungen und schaffte zuletzt einen sehr beachtlichen Rang 9 in der Serienwertung bei der Transgascogne. Bleibt abzuwarten, wie sie mit der wochenlangen Einsamkeit auf dem 6,50 m kurzen Mini klar kommen wird. Die 1.000 Seemeilen Qualifikation soll sie jedenfalls auf einer Backe abgesessen haben.
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