Retour à La Base: Boris Herrmann auf Platz 4 – Wie das Ergebnis einzuschätzen ist

Das war knapp

Boris Herrmann hat bei der Retour à La Base seine ansteigende Form bestätigt. Als es zuletzt eng mit den Verfolgern wurde, hielt er dagegen. Technische Probleme hielten ihn zurück. Aber es wäre vielleicht mehr drin gewesen.

Malizia kurz nach dem Zieldurchgang mit gerissenem Großssegel vor Lorient. © Geraud

Das war knapp. Gerade hatte Boris Herrmann die realen 4.490 Seemeilen zwischen Martinique und Lorient in 9 Tagen und 20 Stunden bewältigt, da riss das Großsegel. Nach einer Halse hinter der Ziellinie teilte sich das Tuch vom Achterliek bis zum Vorliek in zwei Teile. “Ich habe es wohl in der vergangenen Nacht beschädigt”, sagt der deutsche Skipper. Das Malheur zeigt, wie sehr Mensch und Material bei dieser Regatta über den Atlantik gefordert wurden

Das gerissene Großsegel von Malizia nach dem Zieleinlauf vor Lorient. © Retour à La Base

Herrmann schaffte nach Platz sieben bei der Transat Jacques Vabre im Zweihand-Modus nun mit Rang vier eine schöne Steigerung im nahezu kompletten Feld der Vendée-Globe-Aspiranten für 2024. Damit bestätigte er sein zuvor sehr vorsichtig formuliertes Vorhaben, bei dieser Regatta unter die Top Ten segeln zu wollen.

Es schien wenig ambitioniert. Denn mit seinem bei The Ocean Race sturmerprobten IMOCA-Neubau und den zu erwarteten Starkwindbedingungen im Nordatlantik konnte man vermuten, dass auf dem Papier mehr drin sein würde. Für einen solchen Kurs ist Malizia eigentlich gedacht. Außerdem musste ein Teil der schnellsten Konkurrenz sehr vorsichtig segeln, um die bei dieser Regatta zu sammelnden Qualifikationsmeilen für die Vendée Globe nicht zu gefährden. Oder sie wollten ihre unerprobten neuen Schiffe noch nicht den extremen Belastungsspitzen aussetzen.

Herr- mit Weihnachtsmann. © Retour à La Base

Aber mit der Top-Ten-Ansage blieb sich Herrmann treu, die Erwartungshaltung seiner wachsenden deutschen Fan-Gemeinde nicht zu hochzuschrauben. Aus der vermeintlichen Underdog-Position arbeitet es sich entspannter.

Audio-Beiträge: Boris Herrmann zieht Bilanz

Dabei gehört Team Malizia längst zu den stärksten und finanziell am besten aufgestellten Rennställen der Szene. Die Strategie, im Hinblick auf die nächste Vendée Globe früh, einen relativ stabilen Neubau zu konstruieren und ihn über einen längeren Zeitraum zu optimieren, scheint aufgehen zu können.

Die französischen Konkurrenten müssen ihren Geldgebern Erfolge bei Route du Rhum und Transat Jacques Vabre liefern, den zwei wichtigsten Regatten neben der Vendée Globe. Da diese ausschließlich über den Atlantik führen, sind Kompromisse beim Design notwendig. Boote, die schnell über die Atlantik-Welle fliegen, bremsen in den langen, hohen im Southern Ocean Brechern mehr ab. Und auf diesem Spielfeld tief unten im Süden wird normalerweise die Vendée Globe entschieden.

Herrmann muss diese Kompromisse nicht eingehen. Die berühmten Transatlantik-Events sind in Deutschland kaum bekannt und wichtig. Er kann sie zum Testen nutzen. Deshalb war etwa die strategische Option, bei der Transat Jacques Vabre wegen des besseren Vergleichs mit der Konkurrenz die warme Südroute zu nehmen, keine Schutzbehauptung, sondern äußerst professionell im Hinblick auf die Optimierung von Malizia. Auch wenn der sehr spezielle Passat-Vorwindkurs prozentual nur einen Bruchteil der zu erwartenden Vendée-Globe-Route ausmacht, kann es sich kein Skipper leisten, diesen Teil des Leistungsspektrums seiner Yacht völlig außer Acht zu lassen.

Das Wetter- und die Wellen bei der Retour à La Base ähnelten dagegen schon eher dem Anforderungsprofil eines größeren Teils der Vendée Globe – auch durch den Wechsel in den Einhand-Modus. Die Regatta sollte beweisen können, ob das Malizia-Projekt auf dem richtigen Weg ist, weiter vorne anzugreifen.

Der Malizia-Skipper fühlt sich gut vorbereitet im Hinblick auf die Vendée Globe. © Retour à La Base

Und entgegen den zuvor geäußerten Ambitionen schien Herrmann durchaus willens, seine Ansprüche zu erweitern. Jedenfalls machte er seine Ellenbogen an der Startlinie breit, behauptete ungewohnt forsch seinen Platz in der Pole-Position und führte nach einem starken Start das Feld auf den Atlantik – ein echtes Statement im Vergleich mit den Großen der Szene.

Auf dem folgenden langen Amwindschlag gen Norden zeigte Malizia altbekannte Defizite. Bei Mittelwind hebt sie sich nicht so gut auf die Foils, wie einige Konkurrenten. Herrmann fiel zeitweise auf Platz 12 zurück. Er berichtet, dass dieses Problem während der Winterbaustelle mit neuen, voluminöseren Foils behoben werden soll. Die Kunst ist es dabei, Malizias Stärken nicht einzuschränken.

Zwar nutzten die schnellsten Amwindboote Charal, For The Planet, Paprec-Arkea und Dubruil die ersten zwei Tage, um eine 40 Meilen-Führung zu Malizia aufzubauen, die sich  im frischen Wind verdoppelte. Aber als der Wind auf südliche Richtungen drehte, konnte Herrmann wie erhofft Gas geben.

Richomme (oben) halst zur Hölfte des Rennens noch einmal gen Norden. Es ist die Entscheidung, die ihm den souveränen Sieg beschert.

Er lag mit einem Rückstand von 58 Meilen auf Rang sieben, als sich das Rennen entschied. Die Wettermodelle sagten starken Wind im Norden voraus. Aber nur der bereits knapp führende Yoann Richomme halste noch einmal dem Wind entgegen. Der Rest der Top-Sieben blieb beisammen und schien lieber dem Gröbsten aus dem Weg gehen zu wollen.

Beobachter Alan Roberts wunderte sich schon, dass die sturmerpobte Malizia nicht auf dem Richomme-Weg angreift, sondern schließlich sogar als südlichstes Boot einer Flautenzone am nächsten kommt. Aber der spätere Sieger segelt mehr als 60 Meilen entfernt. Möglicherweise gab Herrmanns Routing diese Option nicht her.

Im Fünfkampf um Platz vier hält Boris Herrmann (grau) den Speed der Angreifer. Besonders Seguin und Davies (rot) machen im Endspurt Druck. Burton (gelb) wird durch Segelprobleme gebremst.

Danach segelt der Wahl-Hamburger ein gewohnt solides Rennen im Paket der Top Sieben. Als Ruyants Großsegel reißt, waren es nur noch sechs. Dann stoppt Seb Simon (Dubreuil) mit Energieproblemen auf den Azoren, Sam Davies wird im Reparaturmodus deutlich langsamer und Malizia ex Navigator Nico Lunven segelt mit Holcim-PRB nach starkem Beginn nur noch sehr vorsichtig im Süden.

Herrmann ist plötzlich vierter und könnte vielleicht noch das Podium angreifen. Der Rückstand zu Platz drei beträgt etwa 80 Meilen. Zumal Jérémie Beyou bekannt gibt, ein Großteil seiner Instrumente und die wichtige J2-Fock verloren zu haben. Aber wirklich langsamer wird der Charal-Skipper schließlich nicht. Er behauptet Platz zwei.

Herrmann dagegen kämpft nun mit ernsthaften technischen Problemen und verliert dabei die entscheidenden Meilen, die ein Hoch über ihn hinwegziehen lassen. Danach geht es nur noch darum, Platz vier zu sichern. Das ist nicht einfach, weil die Konkurrenz auf breiter Front angreift. Louis Burton im Norden, Nico Lunven im Süden, Damien Seguin und Sam Davies direkt achteraus.

Burton im Norden liegt nach Herrmanns Halse voraus, wenn man die Windrichtung (gelber Pfeil) berücksichtigt…

Aber diese Aufgabe löst Hermann strategisch stark. Trotz Übermüdung durch häufige manuelle Lenzarbeit und extreme Windbedingungen berechnet er eine Winddrehung perfekt. Louis Burton scheint im Norden schon überholt zu haben, dann kommt die Rechtsdrehung und Malizia sichert den Vorsprung – auch gegenüber Seguin und Davies. Burton wird zudem von Segelproblemen gebremst – sie mögen das Ergebnis seines Abstechers in die Starkwindzone gewesen sein.

Lunven hätte in seiner südlichen Position noch mehr von der Drehung profitieren können, aber er rutscht in eine Flaute.

…Die nach rechts gebogene Kurslinie von Malizia zeigt die Rechtsdrehung des Windes an, mit der Herrmann Platz vier sichert…

…Herrmann sichert die Position mit einer finalen Halse.

„Ich bin wirklich zufrieden damit, wie wir uns in diesem Rennen geschlagen haben”, sagt Herrmann im Ziel. “Der vierte Platz ist ein fantastisches Ergebnis, aber ich freue mich noch mehr darüber, wie schnell das Boot war, vor allem bei den Vorwindbedingungen, und wie gut ich mich beim Solo-Segeln wieder gefühlt habe.“

Das Wichtigste für ihn sei der Trainingsaspekt gewesen und der Lerneffekt beim Solosegeln mit dem neuen Boot. „Heute habe ich das Gefühl, dieses Ziel erreicht zu haben.“ Ein Top-5-Ergebnis sei sehr optimistisch gewesen. “Deshalb freue ich mich riesig über den vierten Platz!”

Boris Herrmann freut sich über eine erfolgreiche Transatlantikregatta. © Jean-Louis Carli / Alea / Retour à La Base

Dabei ehrt es ihn, dass er das Unglück anderer nicht unerwähnt lässt. Nach Charlie Dalin, der gar nicht erst starten konnte, fielen mit Simon und Ruyant zwei Skipper vor ihm aus. Justine Mettraux, die sich noch bei der TJV vor Herrmann platzierte, nahm ebenso wenig teil wie Vendée-Globe-Sieger Yannick Bestaven, der mit seinem Neubau bei der TJV  Speed zeigte, bevor er bevor er mit einem Schott-Bruch ausfiel. Auch der schnelle TJV-Achte Maxime Sorel verzichtete auf die Retour Regatta. Ein Teil der ambitionierten Konkurrenz fehlte also. Umso mehr sammelt Herrmann Meile um Meile Erfahrung und Sicherheit im Umgang mit seinem Boot. Platz vier ist deshalb ein schöner Erfolg.

„Dies war mein zweites Einhandrennen mit Malizia – Seaexplorer”, erklärt der Skipper weiter. “Und es war eine kleine Revanche für meine unglückliche Route du Rhum im vergangenen Jahr. Jetzt haben wir wirklich ihr Potenzial gezeigt. Vor dem Wind ist sie wirklich schnell. Auch wenn ich sie nicht so stark gepuscht habe, war sie immer noch einen halben Knoten oder mehr schneller als andere. Und sie macht nicht diese brutalen Sturzflüge und Nosedives wie andere Boote. Das macht mir große Hoffnung auf die Vendée Globe Ende nächsten Jahres.“

Mit dem Alleinsein auf See habe er dieses Mal auch keine Probleme gehabt, und sich “ziemlich wohl gefühlt.” Er sei in einen “guten Flow” gekommen. Auch weil die Konkurrenz selten weiter als 10 Meilen entfernt und gut per AIS sichtbar war. Dadurch könne man sich gut vergleichen “und es ist auch wirklich motivierend.”

Der Schaden am sechsten Tag sei allerdings sehr frustrierend gewesen. Erst gab es Probleme beim Starten des Motors für die Stromerzeugung, dann drang über defekte Abflüsse Wasser in das Cockpit ein, weil die Verkleidung darunter abgerissen war. Trotz notdürftiger Abdichtungen mit Sikaflex verbrachte Boris Herrmann jeden Tag Stunden damit, das Wasser manuell aus dem Cockpit zu schöpfen. Er riskierte auch den Einsatz des Backbord-Hydrogenerators, aber der riss nach einem Surf mit über 30 Knoten bald vom Heck.

Während der Reparaturen ging die östliche Position zur Front verloren und er fand sich in einer Flaute wieder, die ihn gut einen Tag zur geschätzten Ankunftszeit (ETA) kostete. „Hinter der Spitzengruppe zurückzubleiben war der schwierigste Teil neben dem Schlafmangel und der Enttäuschung. Aber gute Leistungen im Solomodus hängen auch davon ab, wie man mental mit solchen Problemen umgeht. Wie geht es weiter, nachdem die Dinge repariert wurden? Das war in diesem Sinne ein gutes Training.” 

Mit seinem Routing-Entscheidungen und dem Speed sei er im Allgemeinen zufrieden. “Ich bin auf jeden Fall in der Flotte konkurrenzfähig. Ich denke, wir werden uns mit dem Boot in den nächsten Rennen Schritt für Schritt weiterentwickeln und noch ein bisschen an der Zuverlässigkeit arbeiten.”

Herrmann zu seinen weiteren Plänen: „Bald werde ich geschäftlich nach Deutschland reisen und mir dann zu Beginn des Jahres eine Auszeit mit meiner Familie gönnen. Das Boot wird einer Winterüberholung unterzogen und wir werden es mit einem neuen Satz Tragflächen ausrüsten, um die Saison 2024 im April mit dem Transat CIC und den transatlantischen Solo-Rennen New York-Vendée zu beginnen. Dann, im November, bin ich bereit für meine zweite Vendée Globe. 2023 war ein großartiges Jahr für unser Team und wir sind alle gespannt, was 2024 für uns bereithält!“

 

Race Tracker Retour à La Base

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

1 Kommentare zu „Retour à La Base: Boris Herrmann auf Platz 4 – Wie das Ergebnis einzuschätzen ist“

  1. T.B. sagt:

    Ein gutes, charkterstarkes Boot zeichnet sich dadurch aus, dass es erst NACH dem Zieldurchgang auseinanderfällt!-)
    Super Rennen von Boris und eine gute und richtige Analyse von Euch!

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