Vendée Globe: Kann es Alex Thomson diesmal schaffen?

Der Drama-King

Die große, spannende Frage bei der anstehenden Vendée Globe ist wieder einmal die nach einem möglichen britischen Sieg über die Franzosen-Armada. Kann sich Alex Thomson der Übermacht erwehren?

Alex Thomson, Business, Sponsor
Alex Thomson bei seinem Mastwalk. © alex thomson racing

Ohne Alex Thomson wäre die Vendée Globe nicht das, was sie ist. Erst der Drama-King aus England macht die Regatta von einer französischen Landesmeisterschaft zu einem sportlich, spannenden internationalen Großevent. Wieder einmal ist er der einzige Skipper, der den Franzosen Paroli bieten kann. Nach den Plätzen drei und zwei wäre er jetzt sogar tatsächlich reif für den ganz großen Wurf. Kann er es wirklich schaffen?

Gönnen würden es ihm viele. Alex Thomson ist jemand, mit dem man mitfiebern kann. Trotz Millionen-Sponsoring bleibt er dieser Typ sympathischer Underdog, der so gar nicht in diese stylische Profisportler-Welt passen mag. Wenn er hin und wieder in einen Hugo-Boss-Anzug gesteckt wird, wirkt das nach wie vor sie eine Verkleidung – und das ist gut so. Für Thomson und den Sponsor. Der Brite bleibt sich treu und Hugo Boss kauft eine Portion Bodenständigkeit und Abenteuer-Flair ein.

Alex Thomson nach seinem Mast-Walk-Stunt. © Mark Lloyd / www.lloydimages.com

Am Anfang der inzwischen 13 Jahre andauernden Sponsor-Beziehung war für Hugo Boss weniger die Aufmerksamkeit durch sportlichen Erfolg wichtig. Der ließ sich für Thomson auch schwer erreichen. Im Vergleich zur starken französischen Konkurrenz fehlt ihm eine Regatta-Ausbildung auf höchstem Niveau, sei es auf Jollenklassen-, Offshore- oder Figaro-Ebene. Sein Zugang zur Segelprofi-Karriere erfolgte durch das Skippern einer Amateur-Crew beim Clipper Race.

Stunt-Trilogie

Aber dieses Defizit wurde für Hugo Boss durch seine Persönlichkeit und insbesondere die fantasievollen PR-Stunts mehr als wettgemacht. Die Stunt-Trilogie aus Keel-, Mast- und Sky-Walk brachte der Marke eine nie erwartete Aufmerksamkeit. Von 2014 bis 2017 soll der Return of Investment für seine Sponsoren schließlich 200 Millionen Euro betragen haben.

Die neue „Hugo Boss“ hat ihre erste Atlantik-Regatta abgebrochen . © Hugo Boss

So verfügte Thomson seit der Partnerschaft mit Hugo Boss relativ früh über ein Budget, das ihm zu gutem Material verhalf. Für die Vendée Globe 2012 durfte er dann sogar einen Neubau bestellen. Aber das ging völlig schief. Der radikale Entwurf segelte wie eine Blei-Ente. Der Brite kaufte schließlich für die Vendée den gebrauchten IMOCA “Estrella Damm” und segelte ihn auf einen sportlich starken dritten Platz. Den hatten viele nicht für möglich gehalten, da Thomson sich zuvor eher den Ruf eines Bruchpiloten erarbeitet hatte.

Seitdem macht er mehr aus seinen Ressourcen. Zwar vermeidet er immer noch die Schulung seiner Einhand-Fähigkeiten beim direkten Schlagabtausch mit den französischen Spitzenskippern zum Beispiel im Figaro Circuit. Und eine Annäherung an deren Trainingsruppe in Port la Foret war nicht von Erfolg gekrönt. Aber er bastelt intensiv daran, sein Material zu optimieren, und auf diesem Gebiet einen Vorsprung zu generieren. Das ist seine Sieg-Strategie.

Bei der vergangenen Vendée Globe hatte er damit Erfolg. Sein radikaler Neubau war der schnellste – bis eine Tragfläche abbrach. Nun hat er wieder eine Rakete unter dem Hintern. Und wenn der sechs bis sieben Millionen teure Neubau den Belastungen standhält, kann ihn ein Thomson zum Erfolg führen.

Alex Thomson Racing mit 25 Personen im Team

Bei der vergangenen Vendée Globe hat er die letzten Zweifler überzeugt, dass er viel mehr sein kann, als ein Promotion-Clown. Er glänzt nicht nur durch PR-Stunts, sondern auch auf dem Wasser. Schließlich kämpft er längst nicht mehr alleine. Sein Team Alex Thomson Racing ist auf 25 Personen angewachsen. Er kann die besten Technik-Spezialisten bezahlen. Unter anderem die Spezialisten vom Designbüro VPLP, die statt zuvor sechs IMOCAs diesmal die Exklusivrechte an nur zwei Teams vergaben, Charal und Hugo Boss, zwei der finanziell stärksten Teams. Außerdem zeichnet America’s Cup Designer Andy Claughton speziell für die Foils verantwortlich.

Die wichtigste Personalentscheidung für Thomson ist aber die Verpflichtung eines der größten Namens der britischen Offshore-Szene: Neal McDonald.

Der 57-Jährige segelte bei den Olympischen Spielen im FD 1988, war danach 14-Footer Weltmeister, 49er Europameister, zweimaliger America’s-Cup-Teilnehmer und – wichtiger noch für Thomson – in sieben Volvo Ocean-Race-Kampagnen involviert. Fünfmal segelte er selber – zweimal als Skipper – erfolgreicher war er aber als Performance Manager. 2014-15 gewann er in dieser Rolle mit dem Abu Dhabi-Team von Ian Walker. Beim vergangenen Rennen 2017-18 holte er mit dem Mapfre-Team von Xabi Fernandez nach dem legendären Herzschlagfinale Platz zwei .

Danach ließ er sich in Vollzeit von Alex Thomson anstellen, den er zuvor schon drei Jahre auf Projektbasis beraten hatte. Sein Know How ist immens wertvoll für Thomson. Wie nahe er dem Projekt ist, zeigte er durch seine Transat-Jacques-Vabre-Teilnahme, die im Doublehanded Modus gesegelt wird. Denn eigentlich hat McDonald seine aktive Offshore-Karriere beendet. Prompt musste er sich mit der neuen „Hugo Boss“ abbergen lassen.

Neal Mac Donald und Alex Thomson erleben eine frustrierende Generalprobe mit dem neuen Schiff. © Hugo Boss

Dieser Kielbruch bei der TJV nach einer Kollision vermutlich mit einem Wal könnte am Ende eine entscheidende Rolle spielen bei der Leistungsfähigkeit der neuen „Hugo Boss“. Denn es ging viel Vorbereitungszeit verloren als die beiden “unten ohne” noch 800 Meilen zu den Kapverden segeln und das Schiff schließlich per Frachter umständlich wieder nach England transportiert werden musste. Die folgende Lockdown-Phase kam für das Projekt zu Unzeiten.

Die Rolle des geheimnisvollen Außenseiters

Schließlich war „Hugo Boss“ ohnehin im Vergleich zur Konkurrenz erst im August 2019 sehr spät vom Stapel gelaufen. Es fehlten jede Menge Testmeilen. Und so passte die Absage beim Vendée-Arctic-Les Sables d’Olonne-Rennen, der Generalprobe für die Vendée Globe, ins Bild. Basistests zählten mehr als Wettkampfmeilen.

Aber für Alex Thomson ist diese Rolle des geheimnisvollen Außenseiters nicht ungewohnt. Der erste und einzige Vergleich fand vor einem Jahr beim TJV statt und dauerte sechs Stunden – bis zur Kollision. „Hugo Boss“ war zwar schnell, aber seitdem ist viel passiert. Die Favoriten installierten neue Foils, trainierten und optimierten, und vor dem Vendee-Start herrscht großes Rätselraten. „Wir wissen nicht wirklich, wo wir stehen“, sagt Alex Thomson. „Aber das wissen die anderen auch nicht.“ Er wäre gerne zumindest bei der Vendée-Arctique-Regatta angetreten. „Aber wir waren einfach nicht bereit“.

Alex Thomson liebt es, sich vor der Konkurrenz zu verstecken. © ATR

Thomson glaubt damit nach eigenem Bekunden, die Favoritenrolle los zu sein. Er hält „Apivia“ (Charlie Dalin), „Charal“ (Jérémie Beyou) und „LinkedOut“ (Thomas Ruyant) für bevorteilt. Einige französische Spezialisten teilen seine Meinung nicht, führen ihn auf Rang zwei, und auch Vendée-Legende Michel Desjoyeaux erkennt in „Hugo Boss“ „die Maschine, die vielleicht am besten auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet ist“. Er habe allerdings gehört, dass die Zuverlässigkeit ein Thema sein könne.

Szene-Insider Eric Péron hegt größere Zweifel. Er sagt dem Magazin Tips&Shaft: „Wir sind eigentlich daran gewöhnt, bei Hugo Boss ein super vorbereitetes Team zu sehen. Aber hier vor Ort im Hafen konnten wir in der vergangenen Woche beobachten, wie sie an den Tragflächen noch kleine Finnen-Reihen angebracht haben, die das Ventilieren verhindern sollen. Das zeigt mir, dass sie diesmal nicht so gut sind.“ Wohl weil man normalerweise so eine Veränderung vorher ausgiebig testet, bevor man sie beim wichtigsten Wettkampf einsetzt.

„Mental am stärksten“

Die Fähigkeiten von Alex Thomson, den Hochseemarathon gut durchzustehen, zweifelt niemand mehr an. Vendée-Haudegen Kito de Pavant ist der Ansicht, dass der Engländer „mental am stärksten ist und am stärksten puschen kann, wenn es hart auf hart kommt“.

Bezeichnend ist Thomsons Reaktion auf den Foil-Bruch bei der vergangenen Um-die-Welt-Regatta. Es war damit ziemlich sicher, dass er die Regatta verlieren würde. Er hätte sich in seiner schwarzen Höhle verkriechen, mit den Fäusten auf den Rumpf hämmern und über das böse Schicksal jammern können. So nahe war er dran am Vendée Globe-Sieg.

Aber Thomson ist eben Thomson. Der Mann, der im schwarzen Anzug von Kiel, Mast oder sonstwo ins Wasser springt. Dem man diesen Klamauk nicht als gekünstelte Marketing-Maßnahme auslegt, sondern irgendwie als ehrliches, spielerisches Bedürfnis abnimmt.

Es mag mit seiner sonnigen Art zu tun haben. Auch nach dem Bruch sah er in den letzten Videos von Bord immer noch so vergnügt aus, wie zu der Zeit, als er seinem hartnäckigsten Verfolger Armel Le Cleac’h auf seinen Flügeln davon flog. 133 Meilen lag er schon voraus an der Spitze.

Segeln als Therapie

Der 46-Jährige mag sich auf solche Situationen weniger durch harte Rennmeilen vorbereitet haben. Zwar sammelte er in jüngeren Jahren durchaus viele Einhand-Meilen auf selber flott gemachten Kielyachten, aber die härteste Schule war sein frühes Leben.

Thomsons Vater war ein RAF-Helikopter-Pilot im Search and Rescue-Einsatz, und die Familie reiste ihm in immer neue Einsatzgebiete hinterher. Der kleine Alex wechselte oft die Schule und musste sich an ein Leben als Klassenneuling und Außenseiter gewöhnen. Als er 16 war, starb seine Mutter an Krebs. Eine schwere Zeit für den Teen. Er entdeckte das Segeln als Therapie, um den Schock zu verarbeiten.

Regattatechnisch erschien Thomson erst auf der Bildfläche, als er im Alter von 25 Jahren das Clipper Round the World Race als Skipper gewann. Eine außergewöhnliche Referenz und eigentlich kein echter Gradmesser für den Start einer Profi-Karriere. Denn das Clipper-Race ist eher ein Abenteuer als eine ernst zu nehmende Regatta.

Doch Thomson hatte das Glück, Sir Keith Mills an Bord zu haben, der später die Olympischen Spiele nach London holte und zu einem der wichtigsten Förderer des britischen Segelsports wurde. Der Milliardär half auch der britischen America’s Cup Kampagne “Origin” mit Ben Ainslie auf die Beine. Er war begeistert von Thomson, wurde sein persönlicher Förderer und vermittelte ihm schließlich den Sponsor-Vertrag mit Hugo Boss, der seit 2003 Jahren besteht.

Auch 2015 fast das Schiff verloren

Seitdem ist er nicht mit normalen im Regattasport gängigen Maßstäben zu messen. Schließlich traute man ihm auch vor der vergangenen Vendée im vergleich mit den professionell gestählten Franko-Profis nicht so viel zu.

Die Ausgangslage war ähnlich wie heute. Auch damals geriet das Hugo-Boss-Projekt ernsthaft in Gefahr, als die neue “Hugo Boss” bei der Transat Jaques Vabre 2015 fast versank. Crew und Schiff konnten zwar gerettet werden, aber durch die notwendigen Reparaturen ging so viel Test- und Trainingszeit verloren, dass die Konkurrenz kaum noch mit dem Briten rechnete.

Hugo Boss, Thomson
Alex Thomson rast 2016 im Atlantik vorneweg. Das Design funktioniert bestens. © Hugo Boss

Außerdem brach beim Training in der unmittelbaren Vorbereitung für die Vendée Globe ein Foil und das Team streute die Meldung, dass sein Skipper nun auf ein Profil der alten Generation zurückgreifen müsste. Er sollte von der Konkurrenz unterschätzt werden. Tatsächlich war die Mär vom potenziellen Leistungsverlust eine Ente.

Alex Thomson
Immerhin ein kleiner Stunt vom Hugo-Boss-Skipper für die Fans beim Zieleinlauf im Januar 2017. © Vincent Curutchet / DPPI / Vendee Globe

Auch zu Beginn des Rennens legte Thomson noch nicht alle Karten auf den Tisch, während Armel Le Cleac’h ihn belauerte, tagelang neben ihm herfuhr und versuchte, Informationen über das Potenzial der “Hugo Boss” zu sammeln.

Als der Brite dann seinen ersten großen strategischen Fehler machte und zu einem unnötigen Extremschlag gen Portugal ansetzte, schien er schon früh aus dem Rennen. Die Franzosen fühlten sich in ihrer negativen Einschätzung dieses Engländers, der in ihrer Liga spielen wollte, bestätigt. Aber dann überraschte er alle, kämpfte sich wieder heran, brillierte bei der Kapverden- Passage und überholte Le Cleac’h als sein Schiff die harten Raumschotsbedingungen erlebte, für die es gemacht war.

Wird sich die Geschichte diesmal wiederholen?

Eine Antwort zu „Vendée Globe: Kann es Alex Thomson diesmal schaffen?“

  1. harry

    sagt:

    Kann sein, dass er sehr schnell ist, vielleicht sind andere aber noch schneller. Das wird sich zeigen. Prognosen sind immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Mit Sicherheit gehen Dinge zu Bruch, und Thomson hat mir VOR dem letzten Vendée Globe gesagt, dass das Rennen für ihn nicht zuende ist, wenn ihm ein Foil bricht. Er wird auch diesmal in der Lage sein, zu reparieren und zu lernen. Wenn man ihn auf See und an Land mit seinem Team erlebt, stellt man fest, dass er eine Ausnahmpersönlichkeit ist. „stamina“ (Durchhaltevermögen) ist sein Markenzeichen. Aber sind sind die anderen Segler in diesen Dingen nicht schlechter als er. sie sind alle Supermänner, und die frauen sind nicht weniger zäh und leistungsfähig als die Männer. – Da Thomson zu riskanten Entscheidungen neigt, wie dem ungünstigen Schlag Richtung Portugal oder der genialen wenn auch nachvollziehbaren Entscheidung, bei den Kapverden den Windschatten von Santo Antao zu vermeiden, ist ihm zuzutrauen, dass er das Race frühzeitig versemmelt, aber auch, dass er den 1000-Meilen-Vorsprung eines Konkurrenten aufholt, wie 2016 vor Kap Horn. Wenn etwas gründlich zu Bruch geht (Mast, Kiel, Foil, Elektrik) muss er aufgeben, wie so oft. Wenn sein Boot langsamer ist als die Konkurrenz, hat er über 27.000 Meilen auch keine Chance. We will see. Auf alle Fälle ist das geschlossene Boot dafür gemacht, mit den Kräften des Skippers schonend umzugehen. Wenn Thomsons Rechnung aufgeht, kann er bei gleichem Energieaufwand mehr leisten als auf einem Boot, wo er oft nass und kalt ist. – Das Clipper Race sollte niemand unterschätzen. Die Crews kämpfen auf den 40.000 Meilen so hart wie Profis, und der Job eines Skippers (allesamt Profis) besteht darin, fehlerfrei zu segeln und die „Amateure“ zu Höchstleistungen zu motivieren. Kein schlechter Start wie eine Regattakarriere, und Thomson hat mit 25 Jahren schon gezeigt, dass er ein Team führen kann.

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