33 Skipperinnen und Skipper sind vor fast drei Monaten in Les Sables d’Olonne gestartet, um bei der neunten Auflage der Vendée Globe alles zu geben. Viele von ihnen haben wir in den letzten Wochen und Monaten porträtiert. Wer sind die mutigen, talentierten und so unterschiedlichen Seglerinnen und Segler? Was treibt sie an? Unsere Porträt-Sammlung:
Yannick Bestaven: Der Segler, der unbedingt „will“
Yannick Bestaven ist einer dieser seglerischen Überflieger, der von den gut informierten französischen Segelfans als ein Typ wahrgenommen wird, der „will“. Ein Könner, der Resultate abliefert, aber wenig „Bohei“ daraus macht. Einer, der einstecken kann und trotzdem weitermacht. Und gerade deshalb sein Leben voll und ganz dem Segelsport widmet – beruflich wie privat. Doch die Segelkarriere ist alles andere als geschmeidig. Was Bestaven jedoch von vielen anderen unterscheidet: Er ist geduldig. Und kann konsequent auf ein Ziel hinarbeiten.
Jérémie Beyou: Der Kampfstier
Es kann nur einen geben! Jahrzehntelang segelte Jeremie Beyou nach diesem Wettkampf-Motto bei der Vendée Globe. Jetzt lernte er die andere Seite der Regatta kennen. Gewöhnungsbedürftig, aber auch erstaunlich. Nach vier Jahren mentaler und drei Jahren physischer, materieller und emotionaler Vorbereitung auf diese Vendée Globe, nach einem zuvor nur selten erlebten Medienrummel um Mann und Boot war für den gesetzten Favoriten, für den Skipper mit dem angeblich besten IMOCA dieser Flotte drei Tage nach dem Start das Ende, Aus und Amen gekommen. Neun Tage später, am 17.11.2020 startete Jeremie Beyou auf seinem „Charal“ erneut – um seine ganz persönliche Vendée Globe zu segeln. Das Finale kann sich der anfängliche Top-Favorit nun trotzdem kaum ansehen.
Louis Burton: Der Speedfreak
Darf’s ein bisschen mehr sein? Louis Burton wollte sich mit seinem siebten Rang bei der letzten Vendée Globe nicht zufriedengeben. Also besorgte ihm sein Sponsor das Siegerboot von 2017. Mittlerweile zählt er ohne Wenn und Aber zu den ganz großen Überraschungen dieser Vendée Globe. Und das vor allem, weil er einen unglaublichen Biss gezeigt hat und aus ausweglos erscheinenden Situationen immer wieder nach vorne preschte. Typisch Burton: Immer wenn es kernig wurde mit Wind, Wellen und überhaupt dem Wetter, griff er an. Die Szene erstaunt der 35-Jährige mit seinem „Biss“ deshalb, weil er sich „unterm Jahr“, zwischen den Regatten, ausgesprochen rarmacht. Gelinde gesagt: Louis Burton zählt zu den weniger Trainingsfleißigen.
Jean Le Cam: Der Altstar
Überraschungsheld der Vendée Globe: Altstar Jean Le Cam, 61 Jahre jung, zeigt den Youngstern wo der Hammer hängt. Bei seiner fünften Vendée-Globe-Teilnahme dürfte Jean Le Cam der erfahrenste und sowieso gerissenste Segler sein. Außerdem ist er einer von diesen Typen, die – egal wo sie auftauchen – erstmal gute Laune verbreiten, mitunter allzu großmäulig in jedes Fettnäpfchen treten, die aufgestellt wurden und zudem mit einem Selbstbewusstsein gesegnet sind, von dem so manche echte Könige nur träumen können.
Clarisse Crémer: Die Sympathieträgerin
Mal eben hoch in den Mast und sich die Lippen blutig schlagen? Öfter mal den Pausenclown spielen? Lieber gelassen und glücklich als zu ehrgeizig und schlecht gelaunt? Clarisse Crémer macht es vor bei dieser Vendée Globe! Sicher, sie kann sich mittlerweile zu den talentiertesten Hochseeseglerinnen zählen, ohne dabei rot zu werden. Was ihr übrigens immer noch passiert, wenn die Sprache auf dieses Thema kommt. Doch was Clarisse Crémer zu einer der wichtigsten und inspirierendsten Sympathieträgerinnen der Hochseeszene macht, ist weniger ihr seglerisches Können. Sondern schlicht und einfach sie selbst – eine junge Frau, die mit einer unglaublichen Lebensfreude, einer für dieses Alter erstaunlichen Gelassenheit und einem derart lockeren Esprit einhand und nonstop auf einem IMOCA um die Welt segelt.
Charlie Dalin: Der Novize
Charlie Dalin und seine IMOCA der letzten Generation „Apivia“ sind für die Vendée Globe wohl das, was man als willkommenes Aushängeschild für jüngere Zielgruppen bezeichnet. Vor zwei Jahren war der 36-jährigen Segler, der schon vor dem Start als einer der heißesten Favoriten galt, höchstens Insidern der französischen Hochseeszene bekannt. Er hatte zwar schon beachtliche Regattaerfolge erreicht, war aber international und in der IMOCA-Szene eher im Hintergrund aufgetreten. Doch wer näher hingeschaut hätte, dem wäre aufgefallen, dass Dalin einen klassischen Weg beschritten hatte, um letztendlich bei seinem erklärten Ziel anzukommen: einer Teilnahme bei der Vendée Globe. Nur dass er dabei eben nicht medienwirksam und lautstark auftrat, sondern im Stillen mit hervorragenden Ergebnissen glänzte.
Samantha Davies und Romain Attanasio: Das Promi-Traumpaar
Mit Samantha Davies (Initiatives Cœur) und Romain Attanasio (Pure Best Western) ging bei der Vendée Globe zum ersten Mal ein Paar ins Rennen. Im Vorfeld der Regatta bedeutete das für die Eltern eines neunjährigen Sohnes: viel Organisationsaufwand. Mit der Hilfe von Oma und Opa sollte alles klappen. Die Podiumshoffnung der Britin wurde nach einer Kollision allerdings schon früh zunichtegemacht.
Benjamin Dutreux: Der junge Rookie
Dutreux? Benjamin? Tatsächlich ist der erst 30-jährige Benjamin Dutreux selbst unter den jungen, vermeintlichen Szenekennern eher unbekannt. Was daran liegen mag, dass er nur wenig bis gar keine Zeit in den Trainingszentren von Lorient oder Port la Foret verbracht hat. Natürlich hat Benjamin Dutreux mehr „auf dem Kasten“, als ihm von der alleswissenden Szene attestiert wird. Der junge Franzose mischt seit Beginn der Regatta die Top Ten förmlich auf und brachte sich ein, indem er relativ unbekümmert, ohne großen Druck wie ein selbstbewusster Figarist „einfach mal drauflos segelt“.
Pip Hare: Die Abenteurerin
Pip Hare (46) ist eine der großen Entdeckungen dieser Vendée Globe. Schon als Teenager träumte sie von einer Teilnahme. Aber erst vor zehn Jahren kam sie zum Einhandsegeln. Ihre erste Einhand-Regatta war die OSTAR (von Plymouth/GBR nach Newport/USA). Seitdem bestritt sie reichlich shorthanded-Hochseeregatten (u.a. Transat Jacques Vabre, Fastnet) und bastelte an ihrer Karriere als Segelsportjournalistin, TV-Kommentatorin, Buchautorin und Segelcoach. Nach eigenen Angaben ging sie das Abenteuer Vendée Globe mit „winzigem Budget“ an und wurde dann von vielen Freunden und Fans bei ihren Vorbereitungen unterstützt.
Isabelle Joschke: Kernige Draufgängerin
Bis zum Ausfall ihrer Neigekiel-Mechanik segelte Isabelle Joschke eine bemerkenswerte Vendée Globe und war nach dem Ausfall von Sam Davies, mit der sie zu diesem Zeitpunkt gleichauf lag, sogar beste Frau im Feld. Nach anfänglich größeren Problemen kam die in München geborene Skipperin immer besser ins Rennen und zeigte große Entschlossenheit und mentale Stärke. Musste dann leider hinter Kap Hoorn das Rennen aufgeben.
Miranda Merron: Die Erfahrene
Miranda Merron ist eine der wenigen Frauen weltweit, die bereits zwei Mal unter Regatta-Bedingungen den Southern Ocean durchquerten. Ihr respektvolles und gleichsam beunruhigendes Urteil: „Das ist keine Gegend für Menschen!“ Entsprechend vorsichtig solle man sich dort bewegen – der kleinste Fehler könne sich ganz schnell zu einer mittelgroßen Katastrophe entwickeln. Deshalb sei Ruhe und Bedacht besonders wichtig bei dieser Einhand-Nonstop-Weltumseglung.
Giancarlo Pedote: Der rasende Philosoph
Ein Mann, der sich emotional und physisch in diese Vendée Globe reinhängt und dennoch ein kühler, ja weiser Denker ist – Giancarlo Pedote erstaunt auf eine ganz besondere Weise! Schon als kleiner Junge war ihm klar geworden, dass er alles erfahren, ausprobieren will. Keine Abenteuerbücher lesen, sondern Abenteuer erleben. Nichts über das tolle Leben anderer hören, sondern selber leben. „Ich mag nicht über die Dinge sprechen, die ich nicht selbst erfahren habe. Das ist so eine Eigenart von mir. Das Erlebnis war schon immer eine meiner liebsten ‚Sportarten‘“, sagt der studierte Philosoph.
Alan Roura: Der Sunnyboy
Auch für den Schweizer Alan Roura läuft bei dieser Vendée Globe alles 1. anders und 2. als er dachte! Doch trotz einer penetrant anhaltenden, fiesen Pechsträhne riss sich der 27-jährige Schweizer immer wieder zusammen, rappelte sich aus Situationen heraus wieder auf, die bei anderen längst zum Abbruch dieses Rennens geführt hätten.
Thomas Ruyant: Spezialist beim Fliegen
„Le Nordiste“ – wie Thomas Ruyant gerne von den französischen Medien genannt wird, weil er aus Dunkerque stammt – ist einer von diesen Hochseeseglern, die selbst von der Szene nur schwer eingeschätzt werden können. Anders als Charlie Dalin ist Ruyant keiner von den Typen, die mit Pauken und Trompeten einfach mal drauflos segeln und ihr Talent ausspielen – wenn’s klappt, umso besser; wenn nicht, Pech gehabt. Nein, Ruyant ist eher einer von diesen zunächst zurückhaltenden Seglern, die sich aber im Laufe einer Langstreckenregatta wie der Vendée Globe in eine Art Rausch segeln. Und in diesem Zustand zu einer Menge positiver Überraschungen fähig sind.
Damien Seguin: Der Ausnahmesegler
Als wäre es nicht schon Performance genug, als Behinderter bei der Vendée Globe überhaupt mitzusegeln! Nein, der mehrfache 2.4mR-Weltmeister und Paralympics-Sieger Damien Seguin führte zwischenzeitlich das Ranking sogar an. Der 41-jährige Wahl-Bretone, dessen Wurzeln jedoch in den Alpen (Grenoble) liegen, ist in der Segelwelt längst kein Unbekannter mehr. Seine Leistungen bei den Paralympics, bei Weltmeisterschaften und letztendlich auch auf der Hochsee haben ihn längst zu einem Star in der Handicap-Sportlerszene gemacht.
Kojiro Shiraishi: Der letzte Samurai
Der Japaner Kojiro Shiraishi segelt bei dieser Vendée Globe mit „DMG Mori“ einen der modernsten Foiler. Doch zu Beginn der Regatta hat er bitteres Pech. Im schwierigen Indischen Ozean und später im Southern Ocean entwickelt sich Kojiro Shiraishi zu einer Art „gute-Laune-Kommunikator“, der mit seinen Videos, Telefonaten und Instagram-Posts von Bord die europäische Szene immer wieder zum Schmunzeln bringt. Ein Blick in die Hochsee-Karriere des Japaners zeigt zudem mehr als deutlich, dass man es bei ihm mit einem waschechten Seemann zu tun hat. Auch wenn Hochseesegeln in Japan ungefähr den Stellenwert von Shōgi (beliebteste japanische Denksportart) in Europa einnimmt.
Alex Thomson: Der Drama-King
Alex Thomson ist jemand, mit dem man mitfiebern kann. Trotz Millionen-Sponsoring bleibt er dieser Typ sympathischer Underdog, der so gar nicht in diese stylische Profisportler-Welt passen mag. Und nach den Plätzen drei und zwei war er eigentlich reif für den ganz großen Wurf. Gegönnt hätte es ihm viele. Doch es kam anders.
Armel Tripon: Meister der Meditation
Eines der härtesten Schicksale dieser Vendée Globe erlebte Armel Tripon mit seiner “L’Occitane en Provence”. Erst lag der Plattbug ganz vorne, dann drehte er mit einem Schaden um, machte doch weiter. Der 45-jährige Vater dreier Söhne kann nicht mehr ganz nach vorne kommen – aber seine erste Weltumsegelung schaffen. Er hat sich mit seinem Mentaltrainer Ronan gewissenhaft auf das Abenteuer vorbereitet. Vor dem Start begab er sich mit ihm sogar früher in Quarantäne als gefordert. “Für uns besitzt diese Regatta eine einzigartige Ethik. Sie ist ein spiritueller Weg, auf dem wir unser inneres Gleichgewicht als unsere eigene Wahrheit finden müssen.”
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